Essen, 17. Oktober 2014

SteakbrötchenLiebes Tagebuch,

heute sind wir auf einen sehr verwegenen Gedanken gekommen. Auf der Suche nach der Perle, nach dem Schatz haben wir heute die ausgetrampelten Pfade verlassen, uns in unsicheres Terrain begeben. Dort, hinter dem Gestrüpp, wo sie niemand vermutet, wo sie viele übersehen, wollten wir sie finden und dann abends freudestrahlend allen präsentieren. Haha, wollten wir sagen, seht her und staunet, was wir geborgen haben: die Perle der Spiel. Aber jetzt, am späten Abend, muss ich Dir anvertrauen: Wir haben auch abseits des Wegen nichts gefunden, sinnbildlich gesprochen haben wir uns die Knie aufgeschlagen, die Hände an den Dornen zerkratzt und dollüblen Hautausschlag von irgendeiner unbekannten Brennnesselart bekommen. Erst am Ende erlöste uns Bettina von einem Tag, der der mieseste in der Geschichte Essens zu werden drohte. Aber der Reihe nach.

Zwar gelingt es einem durchaus, wenn man seine Rolle als Kotzbrocken der Belegschaft ernst nimmt, Stimmung in die Runde Hospital Rush zu bringen. Aber irgendwie verläuft das Spiel dann doch wie das EEG eines Untoten.

Zwar gelingt es einem durchaus, wenn man seine Rolle als Kotzbrocken der Belegschaft ernst nimmt, Stimmung in eine Runde Hospital Rush zu bringen. Aber irgendwie verläuft das Spiel dann doch wie das EEG eines Untoten.

Hospital Rush von Thomas Kjølby Laursen, Kåre Storgaard und Steen Thomsen bei eggertspiele und Pegasus Spiele

Der Plan war brillant. Natürlich stürzen sich alle am Eggert-Stand auf Grog Island. Das wollen alle kennenlernen. Die HospitalRush-Tische sind verwaist. Weil alle auf den einen großen Namen starren, übersehen sie den schönen Schwan im Hintergrund. Aber wie das manchmal so ist mit Theorie und Praxis. In diesem Ärzte-Einsetzspiel sammeln wir dann zur Abwechslung nicht Lehm und Holz im mittelalterlichen Weiher zwecks Hausbau, sondern Medikamente, trichtern sie Patienten ein, kleben ihnen Pflaster auf die Wunde und sagen „Eiei, ist doch nicht so schlimm.“ Doch, es ist schlimm. In Schulnoten war das nur ein „Ausreichend“, so zumindest unsere einhellige Meinung. Schön dagegen die Erklärung von Vivien, die zwar den Kardinalfehler begeht und uns siezt, aber sie sagt zu den Meeples „Püppchen“. Es sind diese Details, die einem Sprachwerker den Tag versüßen können. Doch dieser Zucker hielt nicht lange vor.

Die Elefanten sind jetzt einfach mal so drapiert, um sinnbildlich unsere Meinung über Bania zum Ausdruck zu bringen.

Die Elefanten sind jetzt einfach mal so drapiert, um sinnbildlich unsere Meinung über Bania zum Ausdruck zu bringen.

Bania von Brian Yu bei Mattel

Auch dieser Plan war brillant. Erst im vergangenen Jahr kehrte Mattel auf die Bühne der ernstzunehmenden Gesellschaftsspiele zurück, erhielt zurückhaltende Achtung für Kronen für den König und den Titel Kinderspiel des Jahres für Geister Geister Schatzsuchmeister. Derart beflügelt, würde Hausautor Brian Yu jetzt richtig Gas geben und mit Bania eine wahre Perle abliefern. Aber wie das manchmal so ist mit Theorie und Praxis. Die Mixtur aus Karten sammeln und daraus Zelte bauen, die unseren Kartennachschub bis zu einem gewissen Punkt wie einen Gebirgsbach sprudeln lassen, erweist sich als recht langweilige und komplett unspektakuläre Angelegenheit. Alle wollen abbrechen, ich dränge darauf, durchzuhalten. Alle machen lange Gesichter.

Wer gern Bauklötze zu Städten baut, um sie anschließend wieder umzustoßen, der sollte vielleicht einen Blich auf Castle Crush! werfen.

Wer gern Bauklötze zu Städten baut, um sie anschließend wieder umzustoßen, der sollte vielleicht einen Blick auf Castle Crush! werfen.

Castle Crush! von Tsai Huei-Chiang bei Soso Studio

Wir waren geschwächt, liebes Tagebuch. Die beiden ersten Partien, die beiden todsicheren Perlen, waren böse Fallen. Sie haben uns die Energie aus dem Körper gezogen. Ein bisschen wie Dementoren. Deswegen brauchen wir jetzt etwas völlig anderes, um den Kopf wieder frei zu pusten. Dieses Völlig-Andere findet man in Halle 4. Also hin. Die Idee von Castle Crush! ist ein wenig abgefahren. Mit schönen Bauklötzchen errichten wir auf einem quadratischen Fundament unser Königreich. Möglichst in feuerpolizeilich bedenklicher Kompaktbauweise, denn je robuster die einzelnen Gebäude stehen, desto besser für die spätere Wertung. Zudem wohnen noch der König in der Stadt (allerdings betritt er nie Erdgeschosse) und der General, der wiederum nur mit beiden Füßen auf der Erde anzutreffen ist. Nachdem wir aufgebaut haben, darf jeder zwei Mal eine Art Mörser für gigantische Caipirinha-Gläser auf eine der Städte fallen lassen. Man stellt ihn dafür mit seinem dünnen Ende auf eine Holzscheibe und lässt einfach los. Nicht schubsen, nicht beschleunigen, einfach fallen und zerstören lassen. Das macht man drei Runden und dann hat irgendwann der Glücklichste gewonnen. Tja, wer gern mit Bauklötzen spielt, um sie dann später zusammenzutreten, der wird sicherlich dieses Spiel mögen, obwohl man es eigentlich auch dann nicht benötigt. Ein Satz Bauklötze genügt ja schon. Alle anderen werden feststellen, dass ihnen die Spielidee bislang überhaupt nicht im Leben gefehlt hat. Oder: Vielleicht fehlt mir nur der intellektuelle Hintergrund für ein solches Schmankerl. Doch ich gebe zu: Da schiebe ich lieber wieder Holzklötzchen über Spielpläne.

André hochkonzentriert beim Bärentransport über die Blocky Mountains. Und Maren ist fasziniert und elektrisiert.

André hochkonzentriert beim Bärentransport über die Blocky Mountains. Maren ist fasziniert und elektrisiert.

Blocky Mountains von Gerhard Junker bei Juhu-Spiele

Die Blockberge waren der eigentliche Grund, ganz bis in Halle 4 vorzustoßen. Und es ist durchaus etwas eher Untypisches für Pöppelhelden, Bärchen und Pöppel per Angel und Stange über die Berge zu bugsieren (oder bei Glatteis zu schleifen). Das Material ist toll, das unfallfreie Versetzen der Figuren gar nicht so einfach. Und ich stelle fest: Wenn ich selbst an der Reihe bin, finde ich die Aufgaben viel unterhaltsamer, als ich erwartet hätte. Was ein bisschen nervt, trotz aller Grandiosität in Sachen Ausstattung: die Wartezeit. Irgendwie packt es mich im Jeder-gegen-jeden-Modus nicht, drei Mal nur zu warten und zuzusehen. Vielleicht wäre da die Teamvariante die bessere Wahl gewesen. Ganz überzeugen kann Blocky Mountains dann trotz seines blendenden Aussehens und seines immensen Aufforderungscharakters nicht.

Wer nicht an den Nachtisch denkt und rechtzeitig Pudding beiseite schafft, der wird in Sushi Go! am Ende mit Siegpunktabzug bestraft. Denn ohne Nachtisch, das geht ja wohl gar nicht.

Wer nicht an den Nachtisch denkt und rechtzeitig Pudding beiseite schafft, der wird in Sushi Go! am Ende mit Siegpunktabzug bestraft. Denn ohne Nachtisch, das geht ja wohl gar nicht.

Sushi Go! von Phil Walker-Harding bei Zoch Verlag

7 Wonders mit Fischaroma? Irgendwie ist es das. Wobei in Sushi Go! jeglicher Firlefanz weggelassen wurde. Wir bekommen Karten, suchen eine aus, legen sie aus, draften, suchen eine Karte aus – bis alle Karte in den drei Runden aufgebraucht sind. Dann wird geguckt, wer mit dem Draft-Material die besten Kombinationen für viele Punkte gelegt hat. Tja. Schon wieder keine Perle. Was sicherlich nicht allein darauf zurückzuführen ist, dass im Spiel keine Austern vorkommen. Wieder kann ich die Gruppe nur kaum davon abhalten, vorzeitig die Zoch’sche Sushi-Bar zu verlassen.

Die brauchen wirklich keinen Kombi mehr, die Untoten in Zombie Mania gehen lieber zu Fuß.

Die brauchen wirklich keinen Kombi mehr, die Untoten in Zombie Mania gehen lieber zu Fuß.

Zombie Mania von Reiner Knizia bei Noris

Der liebe Jan hatte uns schon während der Zubereitung unseres trockenen Sushi-Zwischensnacks gesehen und zugeschaut. Jetzt wollen wir ihn schnell einbinden. Es wird uns später leidtun, es getan zu haben. Noris ist ja nun nicht der Verlag unseres Vertrauens. Den Ruf hat sich Noris durchaus nachhaltig erarbeitet. Reiner Knizia hat nun aber dem Zombie-Trend folgend etwas Seichtes für Familien bei Noris herausgebracht. Und es ist ja immerhin: Doc Knizia. In Zombie Mania versuchen wir, die Zombies aus unserem Haus zu vertreiben. Der Clou: Jedes Würfelsymbol entfaltet nur dann seine Wirkung, wenn es doppelt vor uns liegt. Ungültig wird ein Wurf immer dann, wenn man keinen Zombie gewürfelt hat, den man rauslegen kann, oder wenn am Ende der Würfelei nur ein einzelner Grabstein zu sehen ist. Puh. Wir lachen viel. Aber es ist Galgenhumor. Wir sind kurz davor, wahnsinnig zu werden. Derweil bricht am Nebentisch eine Familie Mops Royal – ebenfalls neu bei Noris, erfunden allerdings von Günter Burkhardt – ab, weil sich die beiden Kinder langweilen. Ein Mann kommt und fragt, ob wir mit seiner Gruppe Tische tauschen mögen, sie sitzen schräg gegenüber bei Ravensburger. Wir wollen. Und empfehlen den Neuankömmlingen, mal einen Blick auf Mangrovia zu werfen.

Braucht man im Jahr 2014 tatsächlich noch einen regelüberfrachteten Mensch-ärgere-dich-nicht-Klon? Unsere Antwort darauf fällt eindeutig aus.

Braucht man im Jahr 2014 tatsächlich noch einen regelüberfrachteten Menschärgeredichnicht-Klon? Unsere Antwort darauf fällt eindeutig aus.

Lauf rauf! von Rüdiger Koltze bei Ravensburger Spieleverlag GmbH

Die Mädels benötigen mal eine Pause. André, Jan und ich folgen weiter der Taktik schlechthin beim Perlentauchen: einen Titel auswählen, der weit unter dem Radar der ganzen Vielspieler fliegt. Lauf rauf! zum Beispiel. Zumal André nach einem Vorabregelstudium bereits meinte, dass es lustig werden könnte. Wurde es nicht. Wer benötigt einen unnötig verkomplizierten Menschärgeredichnicht-Klon? Ravensburger weiß die Antwort vielleicht. Wir nicht und brechen ab.

Und wieder Doc Knizia. Aber auch Orongo lässt uns nicht auf den Tischen tanzen. Das alles ist sauber designt, aber wir wollen nicht nur Komfort, sondern auch Fahrspaß- Quasi.

Und wieder Doc Knizia. Aber auch Orongo lässt uns nicht auf den Tischen tanzen. Das alles ist sauber designt, aber wir wollen nicht nur Komfort, sondern auch Fahrspaß. Sozusagen.

Orongo von Reiner Knizia bei Ravensburger Spieleverlag GmbH

Die Mädels sind zurück, Jan will gleich weiterziehen. Und wir wagen jetzt doch den Griff zum offensichtlicheren Kandidaten für die Perle. Orongo, das neue große Familienspiel der Ravensburger. Neugierig macht es, weil Reiner Knizia als Autor der klassischen Eurogames in den vergangenen Jahren kaum noch in Erscheinung getreten ist. Deswegen könnte die Liaison Knizia/Ravensburger eine interessante sein, zumal Ravensburger in den Vorjahren immer wieder sehr schöne Titel in seinem oberen Segment herausgebracht hat. Sanssouci zum Beispiel, Asara, Diamonds Club, Die Baumeister von Arkadia. Orongo wird sich in diese Ahnenfolge wohl nicht einreihen. Es ist allerdings auch nicht ganz verkehrt, solider Durchschnitt, eine Familie wird sehr wahrscheinlich ihren Spaß auf der Osterinsel haben. Ziel ist es, unsere Moai schnellstmöglich zu verbauen. Bauen darf ich immer dann, wenn ich bestimmte Inselfelder mit dem Ufer durchgängig mit einem Weg verbunden habe. Sobald es mir gelingt, errichte ich eine Statue mit Meerblick. Am Rundenbeginn wird übrigens immer darum geboten, wer dieses Mal wie viel Wegstrecke anlegen darf. Bezahlt werden die Gebote mit modulierten Muscheln, die wirklich toll aussehen, sich im Laufe der Partie aber nicht als das Beste aller denkbaren Spielmaterialien herausstellen. Zum Spiel bleibt zu sagen: Knizia weiß einfach, wie der Osterinselhase läuft, Orongo spielt sich glatt durchdesignt. Aber wenn wir ein Auto und nicht nur die Spieleperle suchten, ginge es eben nicht nur um Fahrkomfort, sondern auch um Fahrspaß. Wir suchen weiter.

Viele, viele bunte Würfel. Sie machen Ciúb zu einem optischen Erlebnis. Ihre ganzen Sonderfunktionen erleichtern den Einstieg ins Spiel aber auch nicht unbedingt.

Viele, viele bunte Würfel. Sie machen Ciúb zu einem optischen Erlebnis. Ihre ganzen Sonderfunktionen erleichtern den Einstieg ins Spiel aber auch nicht unbedingt.

Ciúb von Thomas Lehmann bei AMIGO Spiel + Freizeit GmbH

Ein Titel in Lautschrift. Muss man auch erst mal drauf kommen. Das englische Wort cube verrät schon, worum es geht: Würfel. Und Amigo hat reichlich Würfel in die Schachtel gepackt. Die sehen grandios aus. Viele schwärmen von Ciúb, auch Bettina, zu der wir gleich endlich kommen. Diese Vielfalt, loben sie, diese Möglichkeiten, was mit dem richtigen Würfelmix nicht alles möglich sei. Es geht schließlich darum, die unterschiedlichsten Aufgaben zu erfüllen – was je nach eigenem Würfelinventar mal leichter oder schwerer wird. Wer zum Beispiel die Karte, die zwei Einsen, eine Drei und zwei Fünfen fordert, einsacken will, dem ist mit den gelben Würfeln ungemein geholfen. Denn sie zeigen die ungeraden Zahlen. Andere Würfel helfen uns, unser eigenes Würfelreservoir zu vergrößern, um auch größere Aufgaben zu bewältigen. Und es gibt noch ein paar andere Gimmicks. Doch genau diese Fülle macht den Zugang etwas mühselig. Vielleicht liegt es an der fortgeschrittenen Stunde an einem Tag herber Enttäuschungen. Vielleicht liegt es aber auch tatsächlich am Spiel, dass es nicht sofort ersichtlich ist, wie man clever von Runde zu Runde seine Würfelhand neu mischen sollte. Zumal man ja vor doofen Würfen, die einen nicht einen Jota voranbringen, nie gefeit ist. Ein Spiel, das unter Beobachtung bleibt.

Ein versöhnlicher Tagesabschluss. Dank Erklärbärin Bettina. Und dank des schönen ABsackers Hamsterbacke.

Ein versöhnlicher Tagesabschluss. Dank Erklärbärin Bettina. Und dank des schönen Absackers Hamsterbacke.

Hamsterbacke von Francesco Berardi bei AMIGO Spiel + Freizeit GmbH

Und dann kam sie: Bettina, unser Erklärbär-Engel. Sicher, auch Stephanie hat ihre Sache zuvor bei Ciúb gut gemacht, und Jacqueline bei Ravensburger hat toll erklärt. Aber Bettina war unser rettender Engel heute. Nicht nur, weil sie Hamsterbacke so leidenschaftlich erläuterte, als wenn es ihr Sohn erfunden hat und Mami nun ganz unbedingt will, dass alle das Spiel lieben. Nein, sie hat auch gleich mitgehamstert und wunderbare Wirtshaus-Seligkeit mit ordentlich Frotzeleien in die Runde gebracht. Es war herrlich. Natürlich war es letztlich nur so, weil Hamsterbacke ein toller Absacker und Rausschmeißer ist. Einfache Regeln verlangen trotzdem ein ordentliches Taktieren beim Hamstern. Denn die Karten bringen nur etwas, wenn man sich nicht überfuttert. Schön auch die Ärgerkomponente: Dem Hamster, der gerade große Berge an Karten aufgetürmt hat, sie aber noch nicht in seinen Bau in Sicherheit bringen konnte, wird immer wieder etwas von seiner Beute weggeschnappt. In diesem Fall lässt sich wahrscheinlich tatsächlich auch eine Prognose für die jetzt anstehende Spielzeit wagen: Hamsterbacke wird häufiger den einen oder anderen Abend beenden. So wie wir unseren Samstag wieder mit Bettina beenden werden. Die Verabredung steht, Baby!

Ach, was waren das für Zeiten, als wir mit diesem Spielzeug noch glücklich und zufrieden waren und noch keine Rohstoffketten optimieren wollten ...

Ach, was waren das für Zeiten, als wir mit diesem Spielzeug noch glücklich und zufrieden waren und noch keine Rohstoffketten optimieren wollten …