Da die Pöppelhelden überzeugte Nordwestler sind, wollen sie sich vor allem um die Nordwest-Szene in der Spielebranche kümmern. Denn, sein wir mal ehrlich: Süddeutschland mit seiner Verlagsdichte, das kann ja jeder. Im alten Oldenburger Land und bei seinen Nachbarn ist die Verlagsbesiedelung, nun ja, noch ausbaufähig. Vor der Messe haben wir uns jetzt mit Hanno Girke getroffen, der den Verlag Lookout Games führt, und uns mit ihm über seine Neuheiten unterhalten. Wenn ihr hier klickt, seht ihr den ganzen Roman. Oder ihr klickt euch direkt zu den Spielen:
- 1830
- Ruhm für Rom
- Agricola
- Die Gnome von Zavandor
- Feudalherren
- Welcome to Walnut Grove
- Ora & Labora
- Bohn Camillo
Vorwort
Die Titelseite eines Playmobil-Katalogs liegt rausgerissen auf dem Boden. Sichtbare Spuren der Kinderbegeisterung. Auf dem Tisch in der Ecke des neuen Spielzimmers thront eine majestätische Playmobil-Burg. Die begeistert nicht nur die Kinder. Die begeistert auch den Papa: Hanno Girke. Der Chef von Lookout Games sammelt das Spielzeug aus Zirndorf. Auf Flohmärkten schlägt er zu, wenn er etwas entdeckt, was er immer schon haben wollte.
Aber auch die Brettspielsammlung in dem frisch hergerichteten Spielzimmer gefällt. Der große hölzerne Pöppel, den es sozusagen als Pokal für Agricola bei der Verleihung des Sonderpreises „Komplexes Spiel“ beim Spiel des Jahres gab, steht stolz neben einem Stapel Agricolas und Le Havres. Unter anderem eine 18xx-Sammlung und noch zwei Prototypen des Haus- und Hofautors Uwe Rosenberg sind im Expedit-Regal neben der Tür zur Diele zu finden. Zahlreiche Spiele anderer Verlage stehen herum. „Man muss ja wissen, was die Konkurrenz so treibt“, sagt Girke. Einiges davon ist noch eingeschweißt. Er hat einfach keine Zeit, um alles zu testen, schließlich müssen ja noch eigene Spiele verlegt werden. „Wir kriegen Prototypen im hohen zweistelligen Bereich jedes Jahr zugeschickt“, erzählt er. Einige fallen sozusagen auf den ersten Blick durch. Andere kommen auf den Tisch. Und müssen den Chef gleich in der ersten Partie fesseln. So einfach ist es. Oder besser: so schwer. Bisher hat Hanno Girke jedenfalls ein ziemlich gutes Gespür bewiesen, wenn es darum ging, Neues auszuwählen.
Das Spielzimmer in dem alten Lookout-Hof in der Wesermarsch ist eigentlich das Besprechungszimmer. Girke richtet das Haus Stück für Stück wieder her, baut es aus. Zwei Handwerker verschönern gerade die Außenfassade, Kamerunschafe grasen neben der Einfahrt. In den alten Pferdeboxen türmen sich braune Kartons voller Feudalherren, Gnomen und Achtzehndreißigs auf Europaletten. Fast alles ist schon essenfertig. Ein guter Zeitpunkt, um mit Hanno Girke einen kleinen Ausblick auf die Neuheiten zu werfen.
Hanno Girke ist ein großer 18xx-Fan. Ein sehr großer. „Als ich einmal Feuer gefangen hatte, war es nicht mehr zu löschen“, erzählt er. Es entzündete sich während des Studiums. Ein Freund hatte eines der Ur-1830-Spiele, es kam oft auf den Tisch. „Als wir dann an den Deutschen 1830-Meisterschaften teilgenommen haben, hat sich jeder eins gekauft. Wer damals etwas auf seine Sammlung hielt, der musste sowieso ein halbes Dutzend Avalon-Hill-Spiele besitzen.“ Das war in der Prä-Internet-Ära, vor Click & Buy. Man musste schon einen kennen, der einen kennt, der einen Schwager hatte, der die Spiele verschickte. Oder so ähnlich. „Damals haben wir auch das erste Mal gemerkt, dass sich der Zoll für Spiele interessiert“, sagt Hanno Girke und grinst.
Die Leidenschaft für 1830 und all die anderen Sprösslinge dieser Familie erlosch nie. Und immer war da auch der Wunsch, das Spiel im eigenen Verlag herauszubringen. Aber das war nicht so einfach. Auch weil es für einen Kleinverlag ein Risiko ist, ein solches Nischenprodukt zu veröffentlichen. Doch dann kam Agricola. Der Verkaufsschlager aus dem Lookout-Katalog. Und damit auch die Chance für den Verleger Hanno Girke, den Spieler Hanno Girke glücklich zu machen. Ein paar 18xx-Spiele wie 1861 – Die Eisenbahnen des Russischen Reiches, 1853, Poseidon oder Railroad Barons hat er schon veröffentlicht. Und jetzt ist es endlich so weit, jetzt kommt die Mutter aller 18xx-Spiele: 1830. „Fünf Jahre habe ich an den Rechten von 1830 gebohrt. Alle anderen 18xx-Spiele waren zur Überbrückung“, erzählt Girke.
Es war auch höchste Zeit für die Wiederbelebung. Die erste Auflage des „Archetyps aller Eisenbahnspiele“, wie Girke es nennt, feiert in diesem Jahr seinen 25. Geburtstag. Die Verkaufspreise im Internet haben teilweise ungesunde Höhen erreicht. „Ich wollte, dass das Spiel wieder dauerhaft im Handel erhältlich ist.“ Die erste Auflage unter dem Label „Lookout Klassik“ ist groß genug, um ein paar Jahre zu halten. So kultig 1830 auch sein mag, mit drei Stunden Minimumspieldauer ist es schon ein Brett, das nicht jeder bohren will. Girke stemmt das Spiel übrigens nicht alleine, in den USA sind Mayfair Games mit im Boot.
Erstmals gibt es den Klassiker aus der Feder von Francis Tresham nun auf Deutsch. „Wichtig war uns, dass wir das Regelwerk klarifiziert haben. Es gab vorher einige Formulierung, die sehr unterschiedlich interpretiert wurden.“ Damit ist jetzt Schluss. Es gibt jetzt sozusagen ein reines Urspiel mit klaren Regeln, die Klassikerversion. Wobei all die Varianten, die auf den vielen Tischen in aller Welt gespielt wurden, nicht weggeschmissen wurden. Vielmehr haben Girke und sein Team sie liebevoll gepflegt, eingebaut, dafür das Material entworfen. „Das hatte zur Folge, dass die Regel von 16 auf 48 Seiten angeschwollen ist“, sagt Hanno Girke. Das Buch zum Spiel quasi. War aber sowieso mal überfällig. Zudem haben sie eine Einsteigerversion entwickelt, damit die Inauguration zukünftiger 1830-Adepten leichter fällt. Und das Spiel bietet auch Platz für eigene Versionen, Luft für Improvisation. „Alle Varianten haben zudem einen eigenen Fokus bekommen“, erzählt der Lookout-Chef. Das Entwicklungsteam, dem er angehörte, hat die Rolle Kanadas gestärkt. Eine andere Variation ist etwas für South-West-Fans geworden. Eine weitere spielt zur Zeit der großen Depression. „Oder man kombiniert alles. Das geht auch.“ Hauptsache, nachwachsende Spielergenerationen lernen 1830 kennen. Im besten Falle fangen auch sie Feuer.
Nächstes Jahr soll übrigens ein weiteres 18xx-Spiel bei Lookout erscheinen, zwei Kandidaten sind dafür im Rennen. Welcher es wird, weiß Hanno Girke aber noch nicht.
Francis Tresham: 1830. Schienenleger & Spekulanten, Art Direction: Mark Zug, deutsche Bearbeitung: Henning Kantner, Hanno Girke und Klemens Franz; für 2 – 6 Spieler ab 12 Jahre, Spieldauer: 3 – 6 Stunden; Spielmaterial: ein doppelseitiger Spielplan, Spielplanerweiterungen für Szenarien, Spielkarten mit Loks und Aktien, Marken der Gesellschaften, doppelseitige Gleisteile, Besitzbögen, Spielgeld, Spielregeln; vom Verlag empfohlener Verkaufspreis: 54,95 €
„Lookout Ludi“ steht unter dem Krähennest, wie Seemänner den Ausguck nennen, das seit 2010 das neue Lookout-Logo ist. Hanno Girke will in Zukunft stärker mit dem Logo spielen. Und beim Thema altes Rom passte das lateinische Ludi ganz wunderbar. Spiele heißt es übersetzt.
Ruhm für Rom ist nicht neu, es erschien bereits in den USA unter dem Titel Glory To Rome. Es war da schon gut, ein echter Geheimtipp. Das Kartenspiel hatte nur ein Problem: Es war axolotlhässlich. „Aber mein Bruder Felix hat gesagt, dass wir das Spiel machen müssen. Und da ich seinem Geschmack zu 99 Prozent vertraue …“ Man kann nun getrost sagen, dass Felix Girke über einen guten Geschmack verfügt. Das lässt sich übrigens auch über die polnischen Illustratoren sagen. Hausgrafiker Klemens Franz hat schließlich die sehr gelungenen Illustrationen in ein übersichtliches Kartenlayout gepackt. Die europäischen Versionen in Spanien, Frankreich, Polen, Ungarn und Deutschland sehen somit alle gleich aus. Sie weisen aber auch auf ein klitzekleines Problem bei der Produktion hin: Es war nämlich ein ziemliches Kuddelmuddel, mit den ganzen Lizenznehmern zu kooperieren.
Da das Spiel schon gut war, musste Hanno Girke auch gar nicht mehr groß Hand anlegen. „Zwei Gebäude sind jetzt anders“, sagt er. Der Circus ist einfacher geworden. Bei Ruhm fungieren zwei Karten aus dem Materiallager als Joker, wenn der Baumeister gespielt wird. Bei Glory musste man drei spielen. Das Forum wiederum ist anspruchsvoller geworden. In den USA gewann vorzeitig, wer einen Klienten jeder Sorte ausliegen hatte. Nun müssen es ein Klient und ein Baumaterial jeder Sorte sein.
Einen ausführlicheren Einblick in Ruhm für Rom geben wir am Wochenende.
Carl Chudyk: Ruhm für Rom, Art Direction: Boat City; für 2 – 5 Spieler ab 12 Jahre, Spieldauer: 60 Minuten; Spielmaterial: 198 Karten, 5 Spielertableaus, 6 Bonussteine, 1 Startspielerstein; vom Verlag empfohlener Verkaufspreis: 19,95 €
Das Grundspiel erscheint nun in der siebten Auflage. An der musste natürlich bei diesem Weltbestseller, diesem reinen Titan der Brettspielwelt, nicht mehr viel geschraubt werden. „Ich habe die Texte auf drei Karten korrigiert“, sagt Hanno Girke. „Und ein kleinwenig am Material gedreht. Die Zäune sind im Durchmesser zwei Millimeter dünner – die Schafe können jetzt rüber gucken.“
Natürlich erscheinen auch Goodies. Was wäre Essen ohne neuen Stoff für die Agricola-Aficionados. Für Sammler von Ausbildungen und kleinen Anschaffungen erscheint das 120 Karten starke Niederlandedeck. Und im November folgt das Weltmeisterschaftsdeck, schließlich wird gerade zum ersten Mal der weltbeste Spielbrett-Landwirt ermittelt. Das K2-Deck wiederum hat nichts Bergsteigern zu tun, sondern ist das Korrekturdeck 2, in dem die 24 Karten versammelt sind, die sich in Auflage 7 gegenüber der Urversion entweder in ihrer Funktion oder in ihrem Text unterscheiden.
Und Agricola löscht jetzt wieder den Durst. Nach der leckeren AgriCola vor ein paar Jahren fließt dieses Mal in Essen die AgricoLava. „In der kleinen Lava-Brauerei im Steirischen Vulkanland gebraut und abgefüllt, kommen nur regionale Rohstoffe zum Einsatz und sorgen für den typisch feinen Geschmack. Genau das Richtige nach einem anstrengenden Tag am Feld oder auf der Spielemesse“, schreibt Hanno Girke in der Pressemitteilung. Einen ausführlichen Testbericht werdet ihr schon während des täglichen Pöppelhelden-Blogs aus Essen lesen.
Die Gnome von Zavandor
Von Torsten Landsvogt
Wer sich die Gnome kauft, der nennt etwas ganz Besonderes sein eigen. „Da ist die größte Startspielerfigur, die es je gab, drin. 15 Zentimeter hoch“, erzählt Hanno Girke. Allerdings war dies nicht das Argument, mit dem Landsvogt Girke überzeugte, das Spiel zu verlegen.
In Bremen trafen sich die beiden im vergangenen Jahr bei den sehr besuchenswerten Spieletagen in der Volkshochschule (VHS). Landsvogt hatte einen Prototyp im Gepäck, „Diamantina hieß der“, erinnert sich der Lookout-Chef. Während Landsvogt noch erklärte und von den vier Edelstein-Sorten im Spiel sprach, hatte Girke schon das Z für Zavandor im Auge. Das Konzept passte einfach perfekt rein in die Familie, die ja jedes Jahr Zuwachs kriegen soll. Wie die Agricola-Familie. Oder die Bohnen-Familie. Und natürlich die 18xx-Familie. Girke ist halt ein ausgeprägter Familienmensch.
Im Grunde handelt es sich bei den Gnomen um ein lupenreines Wirtschaftsspiel mit einem Börsenmechanismus. Ziel ist es, seine Edelsteine für möglichst coole Kurse zu verkaufen. Denn Geld ist wichtig. Um sich Schmuckstücke und Artefakte zu kaufen, die die Siegpunkte und andere Vorteile bringen. Und um Schürfrechte zu kaufen, die noch mehr Geld bringen. Man ahnt es schon: Gnome sind geld- und glitzergeil. Was sie so sympathisch macht. „Man sollte gucken, anfangs nicht sein gesamtes Kapital für Schmuckstücke auszugeben, weil man sonst von den anderen schnell überholt wird, weil einem Schürfrechte fehlen“, gibt Girke einen kleinen Einstiegstipp für den Untertagebergbau. „Anfangs könnte sich das Spiel auch etwas holprig anfühlen, weil man nicht weiß, was man tun soll. Aber dann greifen die Zahnrädchen alle ineinander.“
Zwar hat Hanno Girke als Altersempfehlung „Ab 10“ auf die Schachtel mit dem Logo „Lookout Zavandor“ geschrieben, aber es geht auch mit jüngeren Kindern, wenn sie unter Anleitung lernen. Girke hat es selbst ausprobiert in den Sommerferien. „Ich biete da jedes Jahr einen Kinderspieletag an“, erzählt er. Natürlich hatte er dieses Mal die druckfrischen Gnome mit dabei. „Ich habe das dann mit Acht- bis Zehnjährigen gespielt – und ich war überrascht, wie begeistert die waren. Als die Kinder den Dreh raus hatten, war es ein Selbstläufer. Wie mir einer der Betreuer erzählte, kam das Spiel in dem Jugendzentrum auch danach jeden Tag auf den Tisch.“
Torsten Landsvogt: Die Gnome von Zavandor, Art Direction: Klemens Franz, Redaktion: Hanno Girke; für 2 – 4 Spieler ab 10 Jahren, Spieldauer: 60 – 90 Minuten; Spielmaterial: 1 Spielplan mit Kursanzeiger, 1 Puzzle-Spielplan aus 6 Teilen, 15 Karten mit Schmuckstücken, 12 Karten mit Artefakten, 6 Karten mit Tauschhändlern, 80 Karten mit Edelsteinen, 6 Karten mit Edelsteinjokern, 64 Karten mit Goldtalern, 24 Plättchen mit Schürfrechten, 8 Anzeiger für den Spielplan, 10 Rabattmarken, 2 Wandergnome, 1 Startspielerfigur, 1 Startspieler-Scheibe, 1 Spielregel; vom Verlag empfohlener Verkaufspreis: 29,95 €
Auch in dieser Geschichte spielt der Zoll eine Rolle. Wie schon bei 1830. Hanno Girke musste nämlich das Paket, das sie ihm aus Amerika zugeschickt hatten, beim Zoll abholen. Zu dessen Inhalt später mehr. Und dass die Feudalherren im Lookout-Katalog auftauchen, versteht jeder besser, wenn er sich die frühe Spielerlaufbahn Hanno Girkes anschaut (übrigens auch wie bei 1830). Es geht um sein kleines Faible für das, was sie in den Foren Ameritrash nennen. Also typische amerikanische Spiele mit einem nicht zu verachtenden Trash-Anteil. „Ich wollte immer schon mal ein Spiel von Tom machen, er ist aus alten Zeiten einer meiner Lieblingsautoren“, erzählt Hanno Girke und geht zu einem der Expedit-Regale. Er kommt mit dem Hardcover einer Videokassette zurück. Darin befindet sich das, was die Liebe zu Tom-Wham-Spielen entfachte: The Awful Green Things From Outer Space. Girkes Version ist noch jungfräulich, ein reines Sammlerstück.
„Ich habe bei Z-Man Games darum gebeten, dass sie mir mal Prototypen von Tom schicken.“ Drei Stück kamen in oben erwähntem Paket an. Und eines der Spiele darin waren eben die Feudalherren. „Tom schafft es hervorragend, dem Chaos in seinen Spielen eine Rolle zu geben; der Spielspaß bleibt deswegen trotzdem hoch.“ Auch in diesem Werk schlägt das Chaos unvermittelt zu, in diesem Fall kommt es im Gewand des Königs.
Denn während die Spieler versuchen, als Barone ihr Lehen auszubauen, funkt der alte Mann mit dem goldenen Glitzerhütchen mit komischen Einfällen dazwischen. Was schon mal passieren kann, wenn es in der hoheitlichen Linie seit zu langer Zeit keine Blutauffrischung mehr gab. Der König will zum Beispiel neue Steuern. Was die Spieler zurückwirft. Oder er zieht in den Krieg und fordert militärische Unterstützung an. Was die Spieler zurückwirft. Das führt dazu, dass in der ersten Hälfte des Spiels alle Barone irgendwo vor der ersten Kurve der Siegpunktleiste herumkrebsen. „Ab dem Mittelspiel kommt dann Tempo rein“, verspricht Hanno Girke. Denn dann ist das Lehen so gut aufgestellt, dass weder der König noch die Banditen noch die Ratten noch die Steinriesen noch die schwarzen Drachen einen wie magnetisiert an der Null kleben lassen. Wer zwölf/dreizehn/vierzehn Siegpunkte trotz des nervenden Monarchen erreicht, gewinnt. So einfach ist das bei Adels.
Und obwohl das Logo mit dem Schriftzug „Lookout (mit Würfeln)“ fast wie eine Warnung wirkt, muss niemand eine Würfelorgie befürchten. „Es ist das erste Mal, dass in einem meiner Spiele Würfel vorkommen“, gibt Hanno Girke zu. Aber Tom Wham darf das. Er genießt eine gewisse Narrenfreiheit. Er ist schließlich Tom Wham. Einem Quentin Tarantino würde ja auch niemand sagen, wie er einen Film zu drehen hat. Außerdem wird mit den zwei Achtseitern nur die Ecke im Lehen festgelegt, in denen der Spieler ernten oder Personen wie den Zauberer oder Schmied zur Arbeit zwingen dürfen. Alles noch ganz entspannt. Wie gesagt, der König ist viel schlimmer. Oder die angreifenden Mitspieler. Oder aber man ist selbst schuld, weil man ein Techtelmechtel mit der Königin angefangen hat und sich also sehenden Auges ins Unheil gestürzt hat. „Das Schöne: Das funktioniert wirklich in jeder Besetzung von zwei bis sechs Spielern gleich gut“, sagt Hanno Girke. Der es mit diesem Spiel schafft, dass Menschen wieder zugeben können, Wham-Fan zu sein – ganz ohne fremdschämen.
Tom Wham: Feudalherren, Art Direction: Klemens Franz, Redaktion: Hanno Girke; für 2 – 6 Spieler ab 10 Jahre, Spieldauer: 60 – 90 Minuten; Spielmaterial: 1 Wertungstafel, 6 doppelseitige Lehenspläne, 2 Übersichtskarten, 2 achtseitige Würfel, 208 Bewohner-Plättchen, 24 Befestigungs-Plättchen, 6 große Bergfried-Plättchen, 12 Spielfiguren aus Holz, ca. 180 Ressourcen aus Holz, 50 Ereigniskarten, 1 Spielanleitung; vom Verlag empfohlener Verkaufspreis: 39,95 €
Welcome to Walnut Grove
Von Touko Tahkokallio und Paul Laane
Moment mal. Der Typ auf dem Schachtelrand, ja genau, der mit dem Strohhut, der Michael-Landon-in-Unsere-kleine-Farm-Frisur und der Vorliebe für Erdtöne – der sieht doch aus wie der Agricola-Schachtelrand-Mann mit der coolen Bauchtasche, dem Rapper-Kinnbärtchen, der Franz-Müntefering-Gedächtnismatte und der Vorliebe für Blautöne. Kann schon sein. Ähnlichkeiten sind nicht ausgeschlossen. Denn das Spiel versteht sich durchaus als ein etwas leichter zugänglicher Verwandter von Agricola.
„Vor zwei Jahren haben mich die beiden Autoren in Essen angesprochen. Sie fragten, ob sie für uns mal eine Art einfacheres Agricola basteln dürfen“, erzählt Hanno Girke. Da hatte er natürlich nichts gegen. Er ließ also Paul Laane, der vergangenes Jahr in Essen ein Weinanbau-und-verkaufs-Spiel namens Toscana herausbrachte, und seinen Kumpel mit dem Namen wie ein Percussion-Solo drauflos entwickeln. „2010 haben sie es mir vorgestellt. Dann habe ich noch ein wenig dran rumgeschubst – und nun haben wir eine familienspieligere Version von Agricola. Das Spiel ist schnell erklärt, spielt sich in 45 bis 60 Minuten und hat trotzdem eine gewisse Tiefe.“ Die beiden Finnen haben mit dem Farmbetrieb im Walnuss-Hain ganze Arbeit geleistet.
Walnut Grove ist eine Melange aus carcassonne‘eskem Lege- und agricolaischem Erntehelfer-Einsetzspiel. Im Frühjahr und Sommer wird gesät und kultiviert, im Herbst treffen sich alle in der Stadt, verkaufen und kaufen ein. Und am Ende des Jahres muss Hop Sing für alle lecker kochen und unsere kleine Farm zusätzlich beheizt werden. Und auch wenn Hanno Girke bis Essen wohl noch Blut und Wasser schwitzen wird, ist er doch optimistisch, dass alles noch rechtzeitig fertig wird.
Paul Laane/Touko Tahkokallio: Welcome to Walnut Grove, Art Direction: Klemens Franz, Redaktion: Hanno Girke; für 1 – 4 Spieler ab 10 Jahren, Spieldauer: 30 – 60 Minuten; Spielmaterial: 1 großer Spielplan, 4 Spielerpläne, 50 Landschaftsplättchen, 150 Holzteile, Spielregeln; vom Verlag empfohlener Verkaufspreis: 39,95 €
Ora & Labora
Von Uwe Rosenberg
Von den Machern von Agricola, Le Havre und Merkator kommt in diesem Herbst der nächste „große Spielspaß“ (H. Girke) auf die Tische. Uwe Rosenberg erzählt die Geschichte kleiner Klostersiedlungen im Mittelalter, die dank des Fleißes und der harten Arbeit der einfachen Bürger beständig zu siegpunktträchtigen Weilern heranwachsen. Und wachsen. Und wachsen. Die Erfolgstroika Rosenberg-Girke-Franz präsentiert: Ora & Labora. Es ist die geschickte Verkettung von Produktionsabläufen, die es zu optimieren gilt. Und wenn gar nichts mehr geht, besticht man seinen Nachbarprior mit einer Flasche Wein. Ein Meisterwerk, heißt es, das die besten Dinge aus den Welthits Agricola und Le Havre vereint.
Und es ist eine wahre Materialschlacht geworden. „450 Pappmarken sind im Spiel“, erzählt Hanno Girke. Aber nur so lassen sich die Verarbeitungsketten so schön simulieren, lässt sich aus Rohstoff A Produkt B herstellen, das dann eventuell unter Zugabe anderer Ingredienzien weiter veredelt wird. Damit das überhaupt alles möglich wird, braucht es viele verschiedene Gebäude. Und seine Zeit. Mit rund drei Stunden Spielzeit darf Ora & Labora durchaus als abendfüllend bezeichnet werden.
Hanno Girke zieht den Rosenberg’schen Prototypen aus einem Fach. Eine kleine quadratische Box mit ein paar bedruckten Zettelchen darin. Es sieht ziemlich übersichtlich und schnuckelig aus. „Letztes Jahr hat Uwe mir das Spiel vorgestellt. Ich habe gleich gesagt: Lass mal da“, erzählt der Lookout-Verleger, der sich in diesem Fall vor allem um die Realisation gekümmert hat, während Rosenberg das Spiel mit Grzegorz Kobiela zur Marktreife entwickelte. „Aber mit der Umsetzung war ich auch ausgelastet, die Produktion war sehr viel Arbeit.“
Ein komplexes Spiel verlangt viele Möglichkeiten. „In Uwes Prototyp befanden sich auf den kleinen Markern jeweils ungefähr 1000 Informationen.“ Girke musste dann mit Klemens Franz Wege finden, alles unterzubringen und möglichst übersichtlich zu gestalten. Und gut aussehen zu lassen. Und das noch in doppelter Ausführung: Die Plättchen sind vorne und hinten unterschiedlich bedruckt, es gibt eine Frankreich- und eine Irlandseite, die erste Erweiterung wird sozusagen gleich mitgeliefert. „Uwe hat kein Herz für den Vertrieb“, sagt Girke süffisant. Wie schön wäre es gewesen, eine erste Erweiterung in der Hinterhand zu haben, wenn das Spiel einschlägt. Womit zumindest im erlauchten Kreis der Hardcore-Eurogamer verstärkt zu rechnen ist.
Das Schöne an dem Spiel: Der Grundregelaufwand ist übersichtlich. „Das Spiel ist recht schnell erklärt. Aber es gibt trotzdem sehr vieles, in das man sich reinfuchsen muss. In jede weitere Partie geht man mit einem Lerneffekt“, sagt Hanno Girke. Die Aktionen sind kurz, sodass die Downtime niedrig gehalten wird. Zudem hat Rosenberg das Ernterad neu erfunden, sodass es jetzt bequemer, einfacher und übersichtlicher mit dem Rohstoffauffüllen und -ernten abläuft. Ora & Labora dürfte zu den großen Essen-Blockbustern zählen. Und wieder zu Schlangen am Lookout-Stand (Halle 9, Nummer 40) führen.
Uwe Rosenberg: Ora & Labora, Art Direction: Klemens Franz; für 1 – 4 Spieler ab 12 Jahren, Spieldauer: 2 – 3 Stunden; Spielmaterial: zwei Anhäufungs-Pläne, mehr als 300 Ressourcen-Plättchen, Spielerpläne und 22 Landschaften, 41 doppelseitige Gebäudekarten, 32 Siedlungs-Karten, 37 Wald/Moor-Karten, Holzspielsteine, Spielregeln; vom Verlag empfohlener Verkaufspreis: 42,95 €
Camillo
Von Uwe Rosenberg und Sascha Hendriks
2011 war auch: das Jahr des Papstbesuchs in Deutschland. Das Uwe Rosenberg da ein bisschen seinen Religiösen hat, ist aber reiner Zufall. Gut, Ora & Labora heißt auf Deutsch: bete und arbeite und ist in einem Kloster angesiedelt. Und Don Camillo war ein berühmter Fernsehfilm-Pfarrer. Aber in der x-ten Fortsetzung eines der lässigsten Kartenspiele aller Zeiten geht es natürlich vor allem um den Wortwitz. Und der wird seit Jahren für die Bohnen-Familie ausgewrungen wie ein feuchter Lappen. Danke dafür. Jesus als Bohn Gottes zu titulieren, ist wirklich grandios. Wie jedes Lookout-Bohnanza-Familienmitglied erscheint auch dieses in durchnummerierten Schachteln. Eine schöne Fleißarbeit für den Verleger. Den Rest soll uns der Pressetext erzählen:
„Wer kennt die beiden nicht? Bohn Camillo und Pebbohne. Die beiden Haudegen verbindet eine respektvolle Hass-Liebe. Bei fast jeder sich bietenden Gelegenheit wischen sie sich eins aus – so auch in diesem Spiel. Wie wir es aus dem (fast) gleichnamigen berühmt berüchtigten Film kennen, prügeln sie sich regelmäßig, bespitzeln und bestehlen einander und haben große Freude daran, die Pläne des anderen zu durchkreuzen. Einzig und allein Bohn Gottes, der am Kreuz hängt, steht den beiden bei und kann gelegentlich das Schlimmste verhindern. Aber Bohn Camillo und Pebbohne sind auch großzügig zueinander, wenn es sein muss und Anstand und Ehre es gebieten.“
Amen.
Sascha Hendriks/Uwe Rosenberg: Bohn Camillo, Art Direction: Björn Pertoft; für 2 Spieler ab 10 Jahre; Spielmaterial: 33 Karten; 1 Spielregel; vom Verlag vorgeschlagener Verkaufspreis: 6,95 €
Juli 22nd, 2013 on 11:10
Agricola ist nen feines Spiel! Das haben wir derzeit auf unseren Spieleabenden immer aktiv dabei!
Oktober 14th, 2011 on 06:26
Ich bin total gespannt auf Ora et Labora.