Mitten im Satz brach Dominique Metzler einfach ab und verließ die Bühne. So etwas kennt man sonst nur von Fußballtrainern, denen kritische Fragen gestellt werden. Aber die Chefin der Internationalen Spieltage hatte bei der Pressekonferenz mit höherer Gewalt zu kämpfen. Eine Erkältung. So, wie es sich anhörte, war es sogar eine ziemlich fiese Erkältung, die Stimme der Messefrau klang nach mindestens 80 Roth-Händle am Tag und allmorgendlicher Stimmbandspülungen mit Johnny Walker. Sie verschwand hinter dem Vorhang, um mal ordentlich abzuhusten. Ihre Kollegin übernahm – und die Stimmung im Saal war so ganz anders als der Husten: nämlich locker und gelöst.

Bei leckeren Schnittchen sowie Kürbiskernschaumsuppe mit Shrimps wurden die Journalisten einen Tag vor der Eröffnung der weltweit wichtigsten Gesellschaftsspielmesse auf das Ereignis eingestimmt. Um die schreibende, funkende und sendende Zunft für sich zu einzunehmen, ist es clever, gute Nachrichten zu erzählen. Also nannte Dominique Metzler Zahlen, sie sprach von den 827 Schaustellern (so vielen wie noch nie) aus 37 Nationen (auch so viele wie noch nie), und sie erwähnte die über 800 Neuheiten (also mal wieder viel zu viele, selbst für Fachleute).

Weil die Spiel, wie sie von ihren Freunden genannt wird, in diesem Jahr auch ihren 30. Geburtstag feiert, gab es zudem ein paar Geschichten aus der Geschichte. Es wurde daran erinnert, dass Friedrich Merz 1983 zum ersten Mal die Idee hatte, eine Spielemesse zu veranstalten. Zwölf Verlage stellten in der Essener Volkshochschule (VHS) ihre Spiele vor. 700 Besucher waren angemeldet – am Ende kamen über 5000, die VHS drohte, aus allen Nähten zu platzen. 1984 wurde die Spiel räumlich zwar erweitert, da bei Auflage zwei aber schon 15.000 Spieler nach Essen pilgerten, brach rund um die VHS am Essener Hauptbahnhof das totale Verkehrschaos aus. „Damals legte uns die Stadt nahe, in die Messe umzuziehen“, erzählte Metzler. Dort konnte die Messe ungehindert wachsen. Und dort gibt es auch kein Chaos, wenn wie mittlerweile jedes Jahr 150.000 Spielwütige anreisen und, ohne zu murren, auch auf dem Boden sitzen, um neue Spiele kennenzulernen. „Und wenn wir morgens um 10 Uhr die Türen öffnen, rennen die Gäste in die Hallen“, sagte die Chefin. Bilder, wie sie eigentlich nur aus den 80er-Jahren vom ersten Tag des Sommerschlussverkaufs überliefert sind. Auch solche Geschichten stimmen die Journalisten positiv ein.

Natürlich tut auch die Neuheiten-Show, in der viele der Verlage ihre Spiele entweder in besonders groß oder eben besonders hübsch präsentieren, ihren Dienst. Ein paar Impressionen.

Würfelspiele und kooperative Spiele liegen im Trend, sagen die Messemacher in Essen. Die Legenden von Andor sind deswegen zum Erfolg verdammt, denn sie sind kooperativ und es gibt etwas zu würfeln. Und adrett gekleidete Mitspielerinnen finden sich zu Hauf.

Emely und Lukas Brand haben den Deutschen Kinderspielpreis für Mogel Motte gewonnen. Eigentlich eine schöne Sache. Was ihnen keiner gesagt hat: Sie mussten für RTL eine Schaupartie austragen. Weshalb werden die Brand-Kids derart bestraft?

Individuell gestaltete Spiele bietet die junge Firma Luudoo. Mensch ärger Dich nicht zum Beispiel. In dieser Partie spielt der Grüne Cem Özdemir. Man kann die Figuren aber auch nach Bildern der Schwiegermutter, der Stiefschwester oder dem Schwippschwager gestalten lassen. Das geht auch mit Carcassonne oder Halali.

Asia-Wochen bei Eggert und Pegasus: Zum einen gibt es mit Yedo ein Sumogewicht aus Japan. Und nach dem eher unspektakulären Spectaculum von Reiner Knizia kommt nun das große Qin des Herrn Doktor, es geht um die Besiedelung des chinesischen Hinterlands und den Pagodenbau im Allgemeinen. So ungefähr jedenfalls.

Ragami ist kein kantonesisches Nudelgericht, sondern ein anderes Wort für einen Schutzengel. Heraus bringt es der portugiesische Kleinverlag MESAboardgames, dem in der Spielbox jüngst zum Portwein-Titel Vintage noch ein gewisser Übungsbedarf bei der redaktionellen Ausgestaltung seiner anspruchsvollen Spiele bescheinigt wurde.

Am Anfang stand die Historie, die Bedeutung der Ruhr für die Region. Thomas Spitzer hat ein Spiel entwickelt, das zur Geschichte passt – und nicht einem Mechanismus ein Thema aufgedrückt. Dafür gab es beim Hippodice-Autorenwettbewerb Platz eins, der Kleinstverlag Spielworxx wollte das Thema, das den großen Häusern wohl zu speziell war, gleich anschließend veröffentlichen. Queen Games hat bei Kickstarter eine Unterstützungsaktion für Ruhrschifffahrt gestartet. Es gibt viele Fans, aber wahrscheinlich nur wenige Käufer. Die Auflage ist klein, der Preis deswegen groß.

Nobel geht es am englischen Königshof eigentlich nicht zu, denn alle sind nur auf ihren Vorteil aus, wollen den meisten Einfluss haben und die Geissens der britischen Aristokratie werden. Und das ist nun wirklich nicht noble, man! Aber die Pegasus-Neuheit verspricht ein Gourmethappen für Geeks zu werden.

Rüdiger Dorn bei Hall-Games (und die wiederum bei Vielvertriebler Pegasus) – das verspricht, ein ordentliches Pfund zu werden. Zumindest marketingtechnisch wurde mit dem duftigen Namen Il Vecchio alles richtig gemacht. Ob das Spiel auch mit dem deutschen Titel Der Alte eine Chance gehabt hätte?

Einfach schön geworden, dieses Dahschur bei Mücke-Spiele. Das finden sie auch beim Verlag selbst und schreiben auf ihrer Homepage: „Dahschur ist ein Hingucker. Die als Pyramide gestaltete Spielschachtel wird an den Spielplan angelegt und bei ihrer Öffnung die Grabkammer freigelegt, in der die Endwertung stattfindet. Das zweidimensionale Spiel wird damit zum dreidimensionalen Anblick. Die Holzfiguren und die glänzenden Glassteine sind optisch wie haptisch attraktiv.“ Jaja.

Kein Gag kann so schal sein, dass man ihn für sich behalten sollte, dachten sich sicherlich auch die Macher von Aristoocrazy – oder ist es doch nur eine subtile Kritik an der mangelnden genetischen Auffrischung im Erbanlagenpool blaublütiger Familien?

Ziel des Spiels: Sich die diesjährige Kartoffelkönigin aus Opavice (siehe Foto) schön zu trinken. Die Mischung aus tschechischem Kräutergebräu mit magenbrechender Wirkung und nachgeschobenem Absinth zeigt: ein klares Vieltrinkerspiel.

Ein Scrabble-Klon aus Tschechien. Und weil Wortfindungsstörungen vom Autor bereits antizipiert wurden, erklärt sich auch der Titel. Sehr witzig, Herr Cermak. Sehr witzig!

Darauf haben die Vielspieler und Strategiefüchse gewartet: eine Mischung aus Crossboule und Kubb. Supercool!

Die kosmischen Kraftdroschkenkutscher feiern Geburtstag. Als Geschenk gibt es eine wirklich große Box mit Grundspiel, Erweiterungen und Goodies. Herzlichen Glückwunsch auch von den Pöppelhelden.

Klingt zwar so, ist aber kein Hobbit-Spiel: Tzolk’in spielt nämlich nicht in Mittelerde, sondern in Mittelamerika. Es geht um den Maya-Kalender – und wenn die esoterischen Überlieferungen stimmen, könnte es für viele von uns eines der letzten Spiele sein, das je auf dem Tisch landet.

In Troyes gibt es jetzt eine Frauenquote – und nichts ist mehr so, wie es einmal war. Besonders schön: die Suffragetten-Spielausstattung mit lila Würfeln. Auf in den Kampf, Schwestern. Und immer dran denken: Schwanz ab!

Unsere Stadt muss grüner werden. In die Spielewelt zieht nicht erst seit Andrea Meyers Klimapoker ökologische Korrektheit ein. Mit CO2 gibt es noch einen zweiten großen Ökomöken-Titel. Vorbildlich: Das gesamte Spielmaterial ist aus aus nachwachsenden Rohstoffen produziert, aus besonders langlebigen Tropenhölzern.

Puristen mögen sich dran stören, dass der Tablet-Computer als Spieluntergrund dient. Aber auf dem iSpielbrett kann man mit analogen Spielfiguren wie coolen Hot-Wheels oder einem lässigen King Kong voll krass fette Actionspiele erleben. Ganz allein sogar, ohne Störenfriede am Tisch, die nie mit einem Erz tauschen – Manno! Es zeigt sich: Der iMitspieler ist der beste Freund, den’s gibt auf der Welt.

Hektik und Spannung pur bietet Escape – Der Fluch des Tempels. Ein schräge kooperative Würfelorgie mit Bluthochdruckgarantie. In Pöppelhelden-Runden schon mehrmals gespielt und als eine der kreativsten und wahrscheinlich besten Neuheiten bewertet: Unbedingt am Stand der Troisdorfer ausprobieren!

Im Original leider deutlich kleiner und ab Werk auch ohne die Oma von Captain Iglo: Riff Raff, ein Geschicklichkeitsspiel von Zoch. Sieht zumindest spektakulär aus – ob es aber auch etwas taugt …

Wolfgang Kramer mit seinem neuen großen Werk: Die Paläste von Carrara, in dem der Wikinger-Rondell-Mechanismus in abgewandelter Form wieder auftaucht. Sechs Jahre hat Kramer mit seinem Partner Michael Kiesling an dem Spiel gearbeitet. Und weil die beiden so etwas wie die Lennon/McCartney der Spieleszene sind, wurde der Erfinder der Kramer-Leiste gestern in die Rock ’n‘ Roll Hall of Game aufgenommen, der 70-Jährige erhielt den Deutschen Spielepreis für sein Lebenswerk.

Ja, sind wir denn schon wieder so weit, dass ein harmloser Ballon zur Bespaßung des Nachwuchses in einen Poly-Schraubstock gequetscht werden darf? Offensichtlich sind wir so weit, sonst hätte Schmidt Bumm Bumm Ballon! ja gar nicht herausbringen können. Lukas und Emely Brand, genau, die Deutscher-Kinderspielpreis-Gewinner, haben aber offensichtlich ihren tierischen Spaß, die Schrauben immer fester zu ziehen – bis der Ballon nicht mehr kann und alles gesteht. Die Spielideen aus der Heiligen Inquisition sind doch immer noch die besten.

Bohnanza begeht heuer seinen 15. Geburtstag – und seine Amigos feiern das ziemlich ausgelassen. Zum Beispiel mit einer Kunstaktion, Schöneres kann sich ein 15-Jähriger bestimmt nicht vorstellen. 15 Grafiker sollten ihre Lieblingsbohne malen, die Bilder werden für einen guten Zweck nach und nach versteigert, auch während der Spiel am Amigo-Stand. Diese Weinbrandbohne stammt übrigens aus der Feder des großartigen Lookout-Art-Directors Klemens Franz.

Obwohl Bohnanza erst 15 wird, hat er schon reichlich Nachwuchs erzeugt. Das lässt nur einen Schluss zu: Kartenspiele mit Bohnen vermehren sich mittels Mitose.

Tweeeet heißt das neue Spiel von Cwali. Es geht weder um Stoffproduktion in Mittelengland im spätviktorianischen Zeitalter noch um moderne Kommunikationsformen. Es geht um süße Piepmätze und ihre Nahrung, hinreißende Erdbeeren und Würmchen. Dafür gibt es ein Prädikat, auf das insbesondere Hardcore-Gamer besonderen Wert legen: niedlich!

Friedemann for – Ferkehrsminister. Freisinniger Ferfasser fon Funprodukten ferziert Fertigungs-Fita fermittels Fremder Federn. Okay, lassen wir das: Friedemann hat einfach mal beliebte Mechanismen der jüngeren Spielgeschichte in einen Topf geworfen: Dominion, Agricola und Im Wandel der Zeiten sind drin. Im Spiel wollen die Spieler als Politiker an die Macht kommen, deswegen auch das Cover mit Wahlplakat-Optik – und einer klaren Wahlempfehlung für die Bundestagswahl im Herbst 2013? Ob dieses Äußere außerhalb der Fangemeinde Anklang findet?

Leider hat Friedemann bei Fremde Federn auf seinen kongenialen Mann für die Optik (und nebenbei auch den Pöppelhelden-Lieblingsgrafiker), Maura Kalusky, verzichtet. Aber weil Maura im vergangenen Jahr ein bisschen spät dran war, kamen Die ersten Funken erst kurz vor knapp auf die Messe, was wiederum zu Stresssymptomen bei Friedemann führte, der darob die Zusammenarbeit mit dem Herrn Künstler auf seine persönliche Murtaugh-Liste („Ich bin zu alt für diese Scheiße“) setzte. Schade.

Eine wichtige Wiederveröffentlichung für die Friedemann-Forschung: Fundstücke.

Längst über jeden Geheimtipp-Status hinausgewachsen ist Terra Mystica, das bei Hall 9000 schon heilig gesprochen wurde. Es gilt bereits jetzt als das Vielspielerspiel der Messe. Deswegen sei auch an dieser Stelle gesagt: Anspieltipp!

Lookout Games, stationiert im idyllischen Berner Ortsteil Hiddigwarden in der so unvergleichlich saftig grünen Wesermarsch, kommt in diesem Jahr mit vielen Erweiterungen (Ruhm für Rom, Feudalherren, Agricola, Agricola – Die Bauern und das liebe Vieh), dem Le-Havre-Zweier Der Binnenhafen, Suburbia und Snowdonia, das auch schon durch die Pöppelhelden-Prüfung gelaufen ist. Und Testspieler André E. sagt: Es lohnt sich definitiv ein näherer Blick.

Würfelspiele liegen im Trend. Hieß es auf der Pressekonferenz. Und da wird ja nicht gelogen. Amigo hat die Zeichen der Zeit erkannt und das alte Antibiotika-in-der-Schweinezucht-Motto „Viel hilft viel“ aufgegriffen: 133 Würfel sind in der Würfelmania-Schachtel untergebracht. Das muss ja dann quasi gut sein.

Der sehr nette Schöpfer mit dem Lausbubengrinsen und seine Helden: Sonst hat Michael Menzel vor allem fantastisch illustriert, jetzt schuf er gleich ein ganzes Fantasy-Spiel: Die Legenden von Andor.

Der Kreis schließt sich: Andor zum Anfang, Andor am Ende. Morgen mehr an dieser Stelle.