Der H-Punkt seufzt. Nicht einfach nur so: Hach-pfffff!
Nein, nein. Es ist die Mutter aller Seufzer, der H-Punkt ist nur noch ein einziger großer Seufzer in grünem Kapuzenpulli. Er verdreht die Augen und guckt so beleidigt, als hätten das Dienstmädchen, die Prinzessin und der Priester ihm gerade alle gesagt, dass es letzte Nacht mit ihm nur so lala war.
Der H-Punkt ist ein herrlich emotionaler Spieler, einer der jeden Zug leben kann. Und da ist so ein kleines Kartenspielchen wie Love Letter natürlich super. Bluffen, ärgern, rausfliegen – und dann seufzen, fluchen, Verwünschungen aussprechen. Und lachen. Wie der André. Der lacht. Und lacht. Und lacht.
16 Karten, ein Samtsäckchen, so ein Spaß. Das kleine Spielchen ist einer der großen Bringer beim 56. Spieleabend der Pöppelhelden mit 18 teilnehmenden Pöppelhelden in der Pöppäuskirche. Oder so.
And now to something completely different.
Schalten wir doch mal kurz zurück in die Hitparade von 1978. Auf Startplatz drei kommt jetzt der Tony, der Marshall, drei Mal war er schon dabei, also bitte nicht wiederwählen. Und nun lassen wir ihn einfach mal trällern: „Bora Bora Hey, Bora Bora in Tahiti hey / mein Paradies im Sommerwind, / wo alle Menschen glücklich sind / Bora Bora Hey, Bora Bora in Tahiti hey / wo Allen gleich die Sonne scheint / ist Jeder des Anderen Freund.“ Das klingt nach einer ganzen Menge guter Laune.
Müsste also ganz schön Baströckchen-Stimmung am Nebentisch herrschen. Schauen wir mal hin: Konzentriertes Optimieren. Grübeln. Leiden. Nix da mit Cocktailsschlürfen und in der Sonne aalen, stattdessen gibt es das Arte-Programm des aktuellen Spielekatalogs, den neuen Stefan Feld bei Alea: Bora Bora. Die zauberhafte Inselwelt wurde so heiß erwartet wie kein anderes Vielspielerspiel dieses Frühjahrs. Der Arte-Spieler weiß zudem natürlich um den subtilen Humor der Ravensburger Edelschmiede, er weiß, dass Bora Bora zu den Gesellschaftsinseln gehört. Und jetzt auch zu den Gesellschaftsspielinseln. Aber genug der Aperçus, kommen wir zu dem, was diese Seite sonst auszeichnet: ihr Mutterwitz, der charmante Altherrenschmunzler. [Aber leider hat Bodo nicht mitgespielt (er war im Wunderland und rang um den Titel Bodow of Lancaster), sodass der sorgfältig vorbereitete Brüller, dass er nach den Siegerehrentiteln Bodo von Burgund und Saint Bodo von Malo nun auch noch sein eigenes Atoll erhält: Bodo Bodo, nicht unters Volk gebracht werden konnte.]
Aber zurück in die idyllische Inselwelt, auf dem der Herr Feld sein Siegpunktfüllhorn über uns ausschüttet. Eigentlich bringt alles Punkte: Aufträge erfüllen, Schmuck kaufen, den zentralen Marktplatz pflastern, Priester in den Tempel schicken, Aquakulturen am eigenen Strand. Alles. Was gefährlich ist, weil sich der blutige Bora–Bora-Beginner ob des blinkenden Tands rund um einen herum blitzschnell dazu verleiten lässt, alles haben und machen zu wollen. An dieser Stelle also schon mal ein kostenloser Taktiktipp: Das geht in die Hose. Und zwar so richtig. Versprochen. Also lieber hübsch nur auf wenigen Bora-Baustellen mitmischen. Da dann aber richtig.
Stefan Feld hat wieder mit vielen Variablen und Koeffizienten jongliert. Wo beim einen variablen Spiel der Plan mal so oder so zusammengepuzzelt wird, wo beim nächsten die Reihenfolge der Gebäudeplättchen variiert, arbeitet der Herr Physiklehrer mittlerweile fast ausschließlich mit Unbekannten. Wann kommt was ins Spiel, an welcher Stelle – alles ist ein wenig dem Zufall überlassen. Und er setzt wieder auf einen Lieblingszufallsgenerator: die Würfel. Drei Sechsseiter nennt jeder Bora-Boreaner sein Eigen. Aus sieben Aktionen darf sich jeder nach dem gemeinsamen Würfeln reihum drei Mal eine aussuchen. Die Augenzahl sorgt dafür, dass eine Aktion mit größerer Auswahl oder mit mehr Wumms ausgeführt werden kann. Natürlich hat die Sache einen Haken: Auf eine Aktionskarte darf immer nur ein Würfel gelegt werden, der kleiner als der niedrigste dort bereits liegende ist. Hat also jemand eine Eins platziert, war es das mit dem Dazugesellen. Sehr tricky. Vor allem, wenn man in einer Tour Fünfen und Sechsen würfelt – da wünschte man sich, gerade an einer Runde Mensch ärger Dich nicht teilzunehmen.
Um das Glück ein kleines bisschen auszubremsen, hat Feld Götter geschaffen. Die helfen, die Tücken des Würfelns auszubremsen. Allerdings muss man diese Götter dafür fleißig sammeln, zudem immer eine Pizza Tutti Frutti im Tiefkühlfach liegen haben. Denn ohne kulinarische Verführung arbeiten die Übernatürlichen nicht. Es sei denn, man hat als höchster aller Priester auch noch einen Hauptgott im Schuppen liegen und holt ihn im richtigen Moment dort heraus.
Am besten ist es natürlich, man würfelt von vornherein selbst göttlich. Da das aber keinem gelingt, wird es reizvoll: So it’s never Bora boring! Es geht nicht darum, eine seit Jahren ersonnene geniale Strategie umzusetzen, sondern es geht darum, mit jeder Aktion auf die sich ständig verändernde Situation optimal zu reagieren – und sich vielleicht darüber zu ärgern, wenn einem der Mitspieler gerade grandios den eigenen Plan durchkreuzt hat. Der H-Punkt würde stöhnen, granteln, Verschwörungstheorien entwickeln. Bei all dem sollte niemand den angestrebten Endwertungsbonus (Achtung: nicht mit „t“) aus den Augen verlieren. Das ist nicht immer ganz einfach, aber angenehm bis zermarternd fordernd, und zwar ständig. Allerdings ist die erste Partie eine Herausforderung, deswegen nenne sich selbst glücklich, der einen bora-boreanischen Erklärbären zur Einführung vorfindet. Dass einem gottlosen Spieler die Würfelauslage die Entscheidung dabei ab und an abnimmt, ist manches Mal bitter, aber verkraftbar. Bora Bora ist einmal mehr großes Kino, Feld bleibt zurzeit der wohl produktivste und kreativste Autor im anspruchsvollen Segment, der Scorsese der Spielerfinder.
Feld hat also schon wieder ein feinverwobenes Spiel geschaffen, alles hängt irgendwie mit allem zusammen, ganz so wie das Leben auf einem kleinen Inselatoll eben so abläuft. Man steht auf, würfelt – und guckt, was man mit seinen Augenzahlen den Tag über so anfangen kann. Also gut: Die thematische Einbindung ist mal wieder nur so mittel. Aber wie schon bei BuBu stört das auch bei BoBo nicht. Zudem hat Alexander Jung das alles in ein wundervoll frisches Türkis getaucht. Die Farbwahl mag für Synästhetiker wie Tinnitus aussehen, für Blaugrünton-Liebhaber bedeutet sie gute Laune für die Augen, ganz so wie ein Tony-Marshall-Lied.
Der H-Punkt mag es aber nächstes Mal nicht mitspielen, hat er schon gesagt, zu viel Gewusel, zu viele Pfade, auf denen man sich verlaufen kann. Lieber wieder was Kleines, Straightes, etwas mit ordentlichem Seufz-Potenzial. Kann er haben.
Außerdem wurden diesmal gespielt: 10 Tage durch Deutschland, Fundstücke, Galaxy Trucker, Ginkgopolis, Lancaster, Lost Temple, Pinguin Party, Schwarz Rot Gelb, Uluru, Vegas und Wunderland
März 11th, 2013 on 10:57
Schön, dass Andreas aus seinem akademischen schwarzen Loch wieder aufgetaucht ist und sowohl Zeit zum Spielen als auch Zeit zum Schreiben seiner stets amüsanten Berichte hat. Auch hier nochmal herzlichen Glückwunsch!
März 9th, 2013 on 16:35
Oh ja, ich hatte selten mit einem kleinen Spiel so viel Spaß, wie mit Love Letter. Und diese Partie war etwas ganz besonderes. Das Spiel ist geradezu geschaffen für H-Punkt. Nirgendwo anders wechseln die Gefühle so schnell zwischen hocherfreut und abrundtief enttäuscht.
Wer es noch nicht kennt: unbedingt testen! Meine Karten sind schon ziemlich abgespielt, ich brauche bald eine neue Kopie.