Wie bereits alle wissen, heißt das Spiel des Jahres 2013 Hanabi. Dafür gab es die hölzernen Trophäen für Autor Antoine Bauza sowie Joe Nikisch und Matthias Wagner vom Verlag Abacus. Bei der Gelegenheit bat Nikisch gleich seinen ganzen Clan mit auf die Bühne. Recht so.
Kennerspiel des Jahres 2013 wurde Die Legenden von Andor. Urkunden und Pöppel-Pokale gab es für Autor und Grafiker Michael Menzel sowie Kosmos-Redakteur Wolfgang Lüdtke und Geschäftsführer Heiko Windfelder. Und auch die Andor-Familie stand mit auf der Bühne.
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Das wichtigste zuerst: Das Essen war fantastisch. Der Verein Spiel des Jahres hat sich mit dem Ort des Zeremoniells nicht lumpen lassen, das Bristol Hotel Kempinski in Berlin, fünf Sterne, Preisverleihung im Schloss-Saal. Allein die Kronleuchter taugen zum Angeben. Oh lala. In der Lobby: Sofas zum Drinversinken. Und die riesigen Sitzmöbel, hübsch in altrosa, stehen dort nicht einfach nur, nein, sie sind drapiert. Orchideen neben den Waschbecken der Herrentoilette runden das Wohlfühlambiente für alle Fans von „Promi Shopping Queen“ ab – wenn das mal nicht Chichi ist.
Nach den Preisen gab es das große Schmausen: Die Dorade fühlte sich auf ihrem Gemüsebett ziemlich wohl, die Fleischbällchen in Tomatensoße waren deliziös. Und wenn man nun wirklich auf ganz hohem Niveau klagen will, dann, ja dann könnte man höchstens anmerken: Das Tiramisu hätte für meinen Geschmack etwas herber sein können, mehr Kaffeearoma, weniger schokoladig. Das aber auch nur aus dem urdeutschen Drang zu nörgeln, denn sonst war alles echt fünfsternemäßig.
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Stefan Feld ist der Martin Scorsese der Spielewelt. Sozusagen. Er ist der meistgelobte Autor dieser Tage, seine nicht gerade kleine Fan-Gemeinde zelebriert die ersten Partien seiner Neuerscheinungen wie einen Gottesdienst. Feld ist eigentlich nur noch „Stefan, der Große“, the German Boardgame-Wunderkind. Und nun ergeht es ihm vielleicht so wie Scorsese – der war auch x-mal für den Oscar nominiert, bevor er ihn endlich, endlich bekam. Gut, so gesehen hat Feld noch Zeit, da kann er noch einige Male nominiert werden und leer ausgehen, um mit Scorsese gleichzuziehen. Bis jetzt stand er ja nur zwei Mal auf der Nominierungsliste zum Kennerspiel, 2011 mit Strasbourg bei Pegasus, dieses Jahr mit Brügge bei Hans im Glück. Beide Male gewann er nicht.Der große Glatzköpfige mit den tollen Spielen nahm es gelassen. „Wenn man gewinnt, ist es toll, wenn man nicht gewinnt, ist es immer noch mitteltoll“, sagte er, während er in brütender Hitze am Hans-im-Glück-Präsentationsstand in der Brügge-Kulisse stand. Neben ihm ein Helfershelfer in mittelalterlicher Gewandung. Komparsen gehören zur Staffage bei der Präsentation nunmal dazu, entsprechend gab es nebenan einen ebenfalls mittelalterlich anmutenden Carrara-Architekten, eine holde Andor-Maid, eine Hanabi-Geisha und togatragende Augustus-Römer.
Stefan Feld sagte dann das, was alle an diesem Tag sagten: Man sei eigentlich schon ein Gewinner, wenn man aus diesen Hunderten von Essen- und Nürnberg-Neuheiten überhaupt den Sprung unter die besten drei seiner Kategorie schafft. „Es ist schön dabei zu sein, schon bei der Veranstaltung am Abend vorher. Diese Szene ist einfach eine tolle Szene.“
Weil Feld ja so etwas wie der Scorsese der Brettspiel-Welt ist, wird Brügge sehr wahrscheinlich auch nicht seine letzte Nominierung gewesen sein. „Ich habe zumindest noch viele Spiele in der Pipeline.“ Nach der Feld-Frühlingsflut mit Brügge, Rialto (Pegasus) und Bora Bora (Alea) erscheint in Essen nur ein neues: Amerigo bei Queen Games. „Das wird auch mal ganz schön, dass ich mich auf der Messe ganz auf ein Spiel konzentrieren kann.“
Und das meint die Jury zu Brügge: „Im Mittelalter war selbst für aufstrebende Kaufleute in einer wohlhabenden Handelsstadt das Leben hart. Brügge bildet eindrucksvoll ab, wie sehr das Schicksal zuschlagen konnte – im Guten wie im Schlechten. Würfelergebnisse und Kartenglück bestimmen das Los der Spieler. Aber nicht nur: Brügge beeindruckt ebenso mit einer Vielzahl an Lösungsmöglichkeiten, um dem Zufall ein Schnippchen zu schlagen – und das vor einem perfekt in Szene gesetzten historischen Stadtbild.“
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Das Accessoires des Tages hatte die Abacus-Crew mitgebracht: Hanabi-Fächer. Der war deswegen so gut, weil es im Präsentationsraum warm wie in einem Konvektomaten war. Antoine Bauza, der bezopfte Kreativkopf aus Frankreich, der nach dem Kennerspiel-Pöppel für 7 Wonders vor zwei Jahren nun den Roten Pöppel für sein Hanabi absahnte, lächelte nicht nur in die Kameras, sondern er wedelte sich auch unablässig frische Luft zu. Redakteur Matthias Wagner tat es ihm gleich, im schwarzen Anzug mit Krawatte dürfte er am Ende der Preisverleihung sicherlich al dente gegart gewesen sein. „Gestern beim Aufbau war es noch angenehm kühl hier drin“, sagte er.Erschwerend kam ja noch die innere Hitze hinzu. Spiel des Jahres, der zweite Rote Pöppel für Abacus nach 2007, als Zooloretto gewann: Das ist heiß. „Jetzt müssen wir zeigen, dass man auch ein kleines Spiel verkaufen kann“, sagte Verlagspatriarch Nikisch. Vor allem freute er sich, dass tatsächlich ein Spiel in einer kleinen Schachtel den wichtigsten Spielepreis der Welt gewonnen hat. In den Verschwörungstheoretikerkreisen der Szene wurde ja bereits orakelt, dass das gar nicht möglich sei. Aber die Jury Spiel des Jahres hat wieder gezeigt, dass solche Vorurteile einfach so – boing-flip – an ihr abprallen und dass sie sich in jüngster Zeit unkonventionell und unangepasst gibt. Mit der Kür von Hanabi gelang ihr jedenfalls ein großer Wurf.
Obwohl: Auch jury-intern war es wohl lange nicht klar, ob Hanabi gewinnen würde. Bei der Wahl des Spiels des Jahres am Sonntag gab es noch lange Diskussionen, erzählte ein Jury-Mitglied. Aber letztlich setzte sich wohl der Gedanke durch, den Tom Felber in seiner Rede noch einmal hervorhob: „Es kommt auf die Größe der Idee an.“ Nicht auf die der Schachtel.
Hanabi sei eine mutige Wahl, fand das Oldenburger Jury-Mitglied Wieland Herold, denn kooperative und kommunikative Spiele sprechen nicht jeden an. „Allerdings haben wir damit auch das innovativste Spiel ausgezeichnet“, sagte er am Rande der Preisverleihung. Das Revolutionäre an Hanabi: Man hält die Karten so, dass man nur deren Rücken sieht, während die Mitspieler die Vorderseiten kennen. Die Idee dazu kam Antoine Bauza eher zufällig, erzählte er. Er wollte gern etwas mit ganz konventionellen Spielmaterialien erschaffen. Und dann kam eins zum anderen.
Und das meint die Jury zu Hanabi: „Hanabi überzeugt durch einen bislang einmaligen Mix aus kooperativen, kommunikativen und deduktiven Spielelementen. Die falsch herum gehaltenen Karten sorgen nicht nur für einen ungewohnten Anblick, sondern sie fördern auch das konzentrierte Zusammenspiel. Es fasziniert, wie die Gruppen von Partie zu Partie besser harmonieren und lernen, aus klugen Tipps die richtigen Schlüsse zu ziehen. Gelingt ein legendäres Karten-Feuerwerk, ist die Freude groß.“
Zum Schluss noch ein kleiner Japanisch-Kurs: Laut Verlagschef Joe Nikitsch sollte Hanabi ohne besondere Betonung gesprochen werden, also nicht etwa „HANNA-bi“ oder „Ha-Na-Bi“, sondern ganz schlicht „hanabi“.
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„Dann musst Du wohl noch weitermachen“, sagte Michael Kiesling am Büfett zu seinem Ko-Autor Wolfgang Kramer. Hätte er mit Die Paläste von Carrara jetzt noch den athraziten Pöppel für das Kennerspiel erhalten, wäre sein Trippel perfekt gewesen. Kramer hätte den Heynckes machen können, alles erreicht, Zeit, um auf Wiedersehen zu sagen. Fünf Mal hat er schon ein Spiel des Jahres kreiert, teils alleine, teils mit Ko-Autoren: Heimlich & Co. (1986), Auf Achse (1987), El Grande (1996), Tikal (1999) und Torres (2000), zudem hat er mit Corsaro 1991 sozusagen schon ein Kinderspiel des Jahres gewonnen, allerdings gab es den Titel damals noch nicht als eigenständige Kategorie, sondern es lief noch unter dem Stempel Sonderpreis. Und kein anderer Autor sammelte so unfassbar viele Einträge auf den Empfehlungs- und den 1999 eingeführten Nominierungslisten wie Kramer.
Das mit dem Karriereende war aber nur ein Spaß von Kiesling, Kramer kann gar nicht ohne Spiele, auch wenn er sagte, dass er sich schon etwas zurücknehmen möchte, sich mehr schonen will. Aber jetzt sowieso noch nicht direkt, denn in Essen gibt es wieder Neuheiten von ihm, zwei besonders interessante zudem, die er beide mit Kiesling ersonnen hat; die beiden sind ja sowieso die Lennon/McCartney der Spiele-Szene: Bei Peter Eggert erscheint Glück auf, bei Kosmos Nauticus. „Beide sind eher im wieder im Kennerspielbereich angesiedelt“, sagte Michael Kiesling.
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In seinem Anzug sah Michael Menzel ein wenig wie ein ziemlich cooler Archäologie-Professor aus. Für sein sehr großartiges Erstlingswerk Die Legenden von Andor gewann er dann den Kennerspiel-Preis. Zu Recht. Vor allem, dass das Spiel eine erzählerische Dichte wie ein Roman habe, überzeugte die Jury. Menzel strahlte mit seinem charmanten Spitzbubenlächeln über die Auszeichnung, die dem genialen Illustrator zuteil wurde.
Auf die Bühne bat er dann auch seinen Sohn Johannes und seinen Neffen Joel, denn ohne die beiden würde es Andor ja gar nicht geben. 2007 während eines verregneten Urlaubs im Sauerland wollten sie ein Fantasy-Epos spielen, allerdings eins, das ohne ein bibeldickes Regelheft auskam. Andor war geboren – und auch Kosmos-Redakteur Wolfgang Lüdtke ließ sich begeistern. Was gut war, denn so ließen sich die Stuttgarter auf eine Ausstattungsorgie von epischen Ausmaßen ein, was zur ungeheuren Dichte des Plots beiträgt. Dabei ist Andor gar nicht kompliziert. Und dass die Helden die Regeln en passant beim Spielen lernen, ist didaktisch geradezu vorbildlich. Kosmos ist damit der erste Verlag, der es geschafft hat, alle drei Hauptpreise der Jury zu gewinnen. Und Michael Menzel sahnte schon den zweiten Preis für Die Legenden von Andor ab, denn in Frankreich wurde Andor auch zum Spiel des Jahres gewählt und gewann das As d’Or.
Dass die Jury nun alle drei Preise an kooperative Spiele vergeben hat, ist eine interessante Randnotiz. Spielen verändert sich langsam. Aber nach den großartigen kooperativen Spielen der vergangenen Jahre war es auch einfach mal an der Zeit, dass eins einen Preis bekommt.
Und das meint die Jury zu Die Legenden von Andor: „Ein Spiel wie ein Roman: Auf grandiose Weise entführt Die Legenden von Andor in eine einmalige Fantasy-Welt. Von Abenteuer zu Abenteuer offenbart sich den Spielern immer mehr das Schicksal des Landes Andor und lässt die Helden immer tiefer in die stimmungsvolle Geschichte eintauchen – das Spiel wird zum Erlebnis. Innovativ ist zudem die Regel-Gestaltung: Die Losspiel-Anleitung ermöglicht einen schnellen Start; Details werden erst dann erklärt, wenn sie benötigt werden.“
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Dieses Mal hat er noch aus Berlin gezwitschert und vor Öffnung des Saals an seinem Tablet rumgenestelt, nächstes Jahr wird der Chefredakteur des besten deutschsprachigen Spieleblogs (und da ist die Meinung der Pöppelhelden einfach mal Gesetz) selbst in der Jury sitzen: Guido Heinecke von TricTrac. So sind die beiden maßgeblichsten Online-Meinungen auch in der Jury vertreten, denn der von Millionen Groupies angehimmelte Udo Bartsch ist ja schon seit Jahren fester Bestandteil des Gremiums.
Dann wird es noch einen Rückkehrer in die Jury geben, wie Knut-Michael Wolf auf spielbox.de schrieb: Stefan Duksch. Er war bei der Verleihung am Montag aber sehr präsent, denn er hatte die Einspielfilme zu den Nominierten und zur Arbeit der Jury gedreht. Darin offenbarte Udo Bartsch unter anderem, dass er 20 bis 25 Stunden pro Woche spiele, was als amtlich gewertet werden darf.
Ausscheiden werden für die beiden Neuen Norbert Block und Andreas Haaß.
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Kommen wir noch einmal zurück zu Wolfgang Lennon und Michael McCartney, die mit Die Paläste von Carrara dem Münchener Verlag Hans im Glück neben Brügge die zweite Nominierung zum Kennerspiel des Jahres brachten. Am Rande der Preisverleihung erzählte Michael Kiesling nämlich, dass sich der Entwicklungsprozess von Carrara sehr zäh gestaltete. „Wir waren schon so weit, dass wir aufgeben wollten.“ Das Spiel funktionierte, so war es nicht. Aber der Baumechanismus ließ keinen Spaß aufkommen. Das lag daran, dass zuerst in jeder Stadt nur sortenrein gebaut werden durfte, also in Pisa nur mit gelben Steinen, in Massa nur mit blauen und so weiter. „Erst mit dem jetzigen Mechanismus gelang uns der Durchbruch.“ Das erklärt auch, warum die Entwicklung trotz der Erfahrung der beiden mehrere Hundert Stunden in Anspruch genommen hat. Übrigens: Ein wirklich brillant geschriebenes Porträt über Michael Kiesling von Hannah Petersohn erschien im April im Weser-Kurier.
Und das sagt die Jury zu Die Paläste von Carrara: „Von der Materialbeschaffung über die Gebäude-Wertungen bis zum innovativen Ansagen der Schlussrunde – bei Die Paläste von Carrara kommt es stets auf das richtige Timing an. Die Suche nach den besten Zeitpunkten für die Aktionen verleiht dem Spiel einen bis zum Ende tragenden Spannungsbogen. Vorbildlich ist die Zweiteilung der Regel: Das Grundspiel erleichtert Neulingen den Einstieg, die Erweiterung stellt Fortgeschrittene immer wieder vor neue Herausforderungen.“
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Der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass die Jury dies zu Augustus meint: „Augustus reichert das als Lotterie bekannte Bingo geschickt mit taktischen Elementen an und führt damit ein fast 100 Jahre altes Prinzip auf eine neue Ebene mit mehr Spieltiefe. Trotz der zusätzlichen Regeln behält das Spiel die Leichtigkeit und Kurzweil seines Vorbilds. Mehr noch: Augustus fesselt die Spieler, da sie stets gemeinsam erwartungsvoll dem nächsten aus dem Beutel gezogenen Plättchen entgegensehen – das garantiert Spannung für alle bis zum Schluss.“
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Und das meint die Jury zu Qwixx: „Mit minimalem Materialeinsatz bietet Qwixx maximalen Würfelspaß. Das quicke Spiel in der kleinen Schachtel und mit schnell verstandener Regel begeistert alle Generationen gleichermaßen. Da jeder von jedem Wurf profitieren kann, fiebern immer alle Spieler dem nächsten Würfelergebnis entgegen. Risiko eingehen oder vorsichtig agieren? Die kurzweilige Mischung aus Glück und Taktik hat das Potenzial, ein Dauerbrenner zu werden – zumal es in jedes Reisegepäck passt.“
Juli 11th, 2013 on 08:57
1) Schöner Bericht
2) Ob Alster oder Bodensee – Wir Fischköppe sind tolerant
3) Mal schauen, ob wir im nächsten Jahr den frischen Wind in der Jury spüren. Ich drücke die Daumen.
Juli 11th, 2013 on 07:25
Da ist der Adreas tatsächlich nach Berlin gefahren. Hätte ich ja nicht gedacht. Alle Achtung. Und es ist ein sehr schöner Bericht geworden.
Juli 9th, 2013 on 19:59
Hallo Guido,
die Blumen sind trotzdem angekommen, da ist ja höchstens ein bisschen Wasser aus der Vase geschwappt. Also: Vielen Dank für die warmen Worte. Und herzlichen Glückwunsch zur Berufung in die Jury. Das finde ich eine sehr gute Entscheidung – zumal damit der Altersschnitt des hohen Gremiums deutlich heruntergerissen wurde. Liebe Grüße von den treuen Lesern aus dem hohen Norden an das große Wasser des Südens.
Juli 9th, 2013 on 17:12
Hmpf, nix Alster. Wie komme ich denn darauf, dass Ihr Hamburger seid? Oh je, das war es wieder mit all den Blumen…
Juli 9th, 2013 on 17:10
Ganz recht so! Eure Meinung ist Gesetz, finde ich auch!
🙂
Danke für diesen wunderbar detaillierten Bericht und *schluchz* die Formulierung „…des besten deutschsprachigen Spieleblogs…“. Sagen wir lieber so: Ich bemühe mich stets. Aber Ihr schreibt auch sehr schön, ich lese gerne mit!
Herzliche Grüße vom Bodensee an Alster und Co!
Guido