Hundsmühlen, im Januar. Spielen macht süchtig. „Spielen Sie mit Verantwortung“, steht sogar auf dem Rubbellos. Wer erst einmal in die Abwärtsspirale des Spielens geraten ist, der kann sich durch eigene Kraft kaum noch befreien. Der schleppt sich sogar am 1. Januar, an Neujahr, schwer gezeichnet von Schlafentzug und ungesundem Weihnachten-bis-Silvester-Konsumverhalten, nach Hundsmühlen, um zu spielen. 16 Pöppelhelden waren dabei, um das neue Jahr zu begrüßen. Hallo 2014, sagten sie, verhuscht und leise und leidend, um sich dann niederzulassen und sich einen neuen Kick zu holen. Beim Weinanbau. Beim Konzepteraten. Beim Kohleabbau. Beim Jugendstil erfinden.
BRUXELLES 1893 von Etienne Espreman (Pearl Games/Heidelberger Spieleverlag 2013)
Die Spielkritik
Die Geschichte: Ja, ja, 1893, wer erinnert sich nicht? Whitcomb Judson meldet das Patent für den Reißverschluss an, Karl May veröffentlicht die ersten drei Winnetou-Bände, der griechische Ministerpräsident Charilaos Trikoupis erklärt den Staatsbankrott und Victor Horta erfindet den Jugendstil. 1893 war alles in allem irgendwie ein gutes Jahr. Wir begleiten nun Horta und seine wilde Architekten-Bande, wie sie die Welt mit ihrer floralen Ornamentik ein klitzekleines bisschen schöner machen.
Die Handlung: Irgendwann ist einfach der Punkt erreicht, da lässt man arbeiten. Da steht man als feiner Herr Architekt nur noch an seinem Zeichenpult und befehligt eine kleine Schar Assistenten, auf dass sie bei Nieselregen durch die Stadt wetzen, lässt sie Art-Nouveau-Stühle und -Vasen nach den eigenen Entwürfen zusammenklöppeln, jagt sie dann auch noch raus zur Galerie, um sie zu verkaufen. Wieder andere müssen zum Baumarkt radeln, um die edlen Werkstoffe Holz, Eisen und Stein zu kaufen, während die letzten die Bauaufsicht über die neuesten Einfamilienhaus-Projekte in der Stadt führen. Und weil man selbst mit dem Zu-Papier-Bringen neuer Ideen so beschäftigt ist, schickt man die treuen Niedriglöhner im unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnis sogar abends ins Theater, um Kontakte zur Hautevolee zu pflegen.
Kurz: Bruxelles ist ein weiteres Assistenten-des-Architekten-Einsetzspiel. Gibt es doch jetzt wirklich schon genug. Könnte man meinen. Aber nein. Die Idee ist immer noch nicht verbraucht. Zumal Etienne Espreman das Bewährte bemerkenswert neu arrangiert hat. Da ist zum einen der Jugendstilspielplan (bitte jetzt drei Mal laut so schnell wie möglich hintereinander dieses Wort aussprechen, bevor es mit der Textlektüre weitergeht) –; also da ist der variable Jugendstilplan, auf dem die oben beschriebenen fünf Arbeitsaufträge ausgeführt werden. Jedes Feld kann von einem Assistenten besetzt werden, fertig. Hat einer der werten Kollegen das Gebäude, in dem es das Tagewerk zu verrichten gilt, entworfen, erhält er noch einen Bonus.
Zum anderen ist da der Brüsselspielplan, der weitere vier Aktionen offeriert. Die stehen allen offen, man muss nur jedes Mal einen Assistenten mehr entsenden, als es der Kollege vor einem schon getan hat. Da jeder zu Beginn nur fünf Assistenten zur Hand hat, wird das schnell teuer. Schön ausgedacht ist auch: Wer die meisten seiner Angestellten in diesen Teil der Stadt geschickt hat, macht sich verdächtig, einer der Assis wird abgeführt und so lange im Justizpalast festgehalten, bis wir ihn da wieder rausholen.
Und weil das alles noch nicht reicht, gibt es nebenbei noch eine kleine Auktion. Jeder Assistent, der in eines der Häuser auf dem Jugendstilspielplan geschickt wird, muss Taschengeld mit auf den Weg bekommen haben. Am Ende der Runde werden noch Bonuskarten an denjenigen vergeben, dessen Assis in der jeweiligen Spalte die meisten Belgischen Francs liegen lassen haben. Und weil es natürlich wenig jugendstilmäßig opulent wäre, einfach nur eine Karte zu nehmen, muss sich der Herr Architekt dann noch entscheiden, welchen Bonus er will: sofort eine einmalige Aktion oder mehr Siegpunkte zum Spielende.
Die Mechaniken in Bruxelles 1893 sind zwar für sich genommen sesamstraßensimpel, die Möglichkeiten dagegen sind reichhaltig. Und alles ist so intensiv miteinander verflochten, wie es dem Thema Jugendstil gebührt. Der eine Aktionsarm rankt sich um den anderen, allen möchte man folgen, aber natürlich wird man stolpern und die Knie der weißen Leinenhose verschmutzen, sollte man meinen, von jedem etwas abkriegen zu können. Man muss sich schon fokussieren, ob man als potenter Künstler versucht, Kasse zu machen und Ansehen zu erwerben. Oder ob man über die Wappen-Mehrheitenwertung auf dem Jugendstilspielplan zum Erfolg kommen will – denn, ja, ja, so wie bisher beschrieben, war es nun wirklich nicht genug, es gibt also auch noch Mehrheiten. Jippieh!
Die Quintessenz: Bruxelles 1893 überrascht nicht mit innovativ Neuem. Aber es überzeugt den Connaisseur der gepflegten Abendunterhaltung mit einer äußerst ansprechenden Ausgestaltung des Altbekannten. Die ewige Konkurrenz um die immer zu knappen Plätze für die Assistenten ist spannend, aber genau davon leben gute Arbeiter-Einsetzspiele ja auch. Es geht jedes Mal wieder um die Entscheidung: Wo gehe ich zuerst hin? Was ist so wichtig, dass ich es mir nicht wegnehmen lassen darf? Und es geht natürlich auch um den Spaß, den einen oder anderen Mitarchitekten zu verärgern, indem man ihm den benötigten Platz vor der Nase wegschnappt. Das ist genauso gut, wie samstags vor dem Aldi schnell vor dem karobehüteten Senior am Opel-Lenkrad in eine Parklücke zu sausen. Gut austarierte Vertreter der Personal-Einsatzspiele sorgen dafür, dass genau das passiert, dass sich genau dieses Gefühl einstellt, dass also ausgerechnet mir der perfekte Parkplatz im Schatten nah am Eingang weggenommen wird. Es bleibt einem also nichts, als die Haare zu raufen und schnell einen Ausweichzug zu finden. Arbeiter-Einsatz ist zwar stilles Taktikgegrübel, das aber nicht ohne Ausbrüche auskommt. Was bleibt einem gesundheitsbewussten Spieler auch anderes übrig als die emotionale Eruption: Flucht man den Groll nicht heraus, wird es sonst nur ein Magengeschwür oder Neurodermitis. Dieses Gefühl zu erreichen, ist Espreman bei Bruxelles 1893 ordentlich gelungen.
Allerdings sollte man eine Partie nicht mit Tunnelblick bestreiten. Wichtig ist es, das Vorgehen der Mitspieler zu lesen und darauf zu reagieren. Überlässt man den Einfluss im Rathaus einem Spieler allein und sahnt er jede Runde allein dicke Punkte in der Wappen-Wertung ab, dann wird er kaum einzuholen sein. Gleiches gilt wohl, wenn nur ein kulturbeflissener Mitspieler in der Runde hockt, sozusagen jeden Abend im Theater seine Kontakte pflegt und parallel ein brillantes Standing im königlichen Palast hat. Genauso tödlich kann es aber auch sein, wenn ein Kollege mit seinen Kunstwerken ständig die höchsten Erlöse in der Galerie einsackt. (Dass einem ein unbeobachteter Kontrahent entfleucht und nicht mehr eingeholt ward, beschreibt Darkpact in seiner Rezension sehr eindringlich.) Das zeigt aber auch, wie wundervoll floral verzahnt alles ist. Von daher ist Bruxelles für Freunde des Arbeiter-Einsatzes auf jeden Fall einen sehr genauen Blick wert, solide, würde Kollege Bartsch vielleicht urteilen, sehr empfehlenswert sagen wir, was für Spielbox-Leser übersetzt 8 von 10 Punkten sind.
Die Stilkritik
Bruxelles 1893 verzückt. Nicht nur weil es ein sauber konstruiertes Spiel ist. Das Spiel lebt auch von der hervorragenden Arbeit von Alexandre Roche, der den Esprit der Art Nouveau kongenial eingefangen hat, ohne darüber seine eigne Handschrift zu verlieren. Es sind eben auch die vielen kleinen Details in der Gestaltung, die das Spiel thematisch so stimmig erscheinen lassen. Das Spielertableau von Victor Horta zeigt sein eigenes Wohn- und Atelierhaus – und so erscheinen nach und nach auf den kleinen Spielbrettchen epochemachende Gebäude der jeweiligen Architekten wie das Maison Saint-Cyr bei Gustave Strauven oder die Grand Magasins „Old England“ bei Paul Saintenoy (an dem sich zeitgenössische Shopping-Mall-Architekten mal ein Beispiel nehmen sollten).
Bei der Symbolik hat Roche ebenfalls gute Ideen entwickelt, auch wenn man die kleinen Zeichen auf dem Jugendstilspielplan und auf dem eigenen Tableau erst einmal lernen muss (und zudem erkennen muss, denn übertrieben groß ist das alles nicht). Dabei hat er auch Grafiker-Ehrgeiz bewiesen und eine eigenständige Symbolsprache entwickelt. Die Kontaktpflege im Theater und das Nutzen der Persönlichkeiten hat er beispielsweise mit einem Zylinder und einem keck angedeuteten Menjou-Bärtchen dargestellt, für das Bauen steht eine Maurerkelle. Die Detailversessenheit setzt sich in der Palast- und der Rathaus-Leiste fort. Der Palast wird vom Wappen mit dem Brabanter Löwen geziert, beim Rathaus ist Erzengel Michael zu sehen, wie er gerade den Teufel besiegt, also das Stadtwappen Brüssels. Das ist: sehr feine Arbeit.
Die wichtigen Menschen, die wir allabendlich zum Pausen-Parlieren im Theater treffen, sie haben alle einmal gelebt: der sehr betuchte Ingenieur, Unternehmer, Finanzier, Industrielle und Hobby-Ägyptologe Edouard Empain, Bürgermeister Charles Buls, der Schriftsteller, Dramatiker und spätere Literaturnobelpreisträger Maurice Maeterlinck, Prince Albert, der 1909 König wurde und so weiter. Roches Stil ist bei den Porträts klar zu erkennen, sein akzentuierter Strich erinnert an Graphic Novels, trotzdem hat er Wert darauf gelegt, jede Persönlichkeit klar erkennbar darzustellen. Das ist große Illustrationskunst, die den Spaß an diesem Spiel perfekt unterstützt. Jedenfalls wenn man ein Auge für diese Feinheiten hat.
GLÜCK AUF von Michael Kiesling & Wolfgang Kramer (eggertspiele & Pegasus Spiele 2013)
Die Spielkritik
Die Geschichte: Spaß bei der Arbeit ist etwas anderes, als in die stickigen Stollen unter Tage einzutauchen und dort die verstaubte Luft einzuatmen. Es war ein Scheißjob, Ende des 19. Jahrhunderts ein Kumpel zu sein, zu einer Zeit, als Deutschlands Industrie rasant wuchs und auf die Energie der Kohle angewiesen war. Scheißhart, scheißungesund, scheißgefährlich. Man konnte Glück gebrauchen. Deswegen der Gruß Glück Auf. Wikipedia sagt, damit sei zum einen gemeint, dass beim Stollengraben Glück im Spiel sein möge, in der steten Hoffnung, neue, ergiebige Erzgänge tun sich auf. Und zum anderen geht es um das heile Nachhausekommen, auf die gesunde Auffahrt aus dem Bergwerk ans Tageslicht. Vorweg gesagt: Wir als piekefeine Zechenbesitzer werden im Laufe der Partie keinen unserer Arbeiter verlieren, alle schaffen es bis zur Endabrechnung, auch mit Kohlekeuchhusten, deswegen auch FSK 10, wie die Spieleschachtel sagt.
Die Handlung: In diesem Fall ist der Name Arbeiter-Einsetzspiel aber mal wirklich gerechtfertigt. Denn wir setzen keine Assistenten, Steinzeit-Mokel oder Mitglieder unserer Maya-Community ein, sondern unsere Arbeiter, ehrliche Malocher, die im Dreischichtbetrieb das schwarze Gold mühsam aus den Gesteinsschichten kloppen und dermaßen müffeln, dass es dagegen in einer Douglas-Filiale richtig gut riecht. Was sie tun müssen, um derart in Schweiß zu kommen? In der Lorenfabrik werden dafür kleine Wägelchen gelötet, in denen wir die vier Kohlesorten aus vier unterschiedlich tiefen Stollen abtransportieren – allerdings ist das Schmieden des metallenen Lastenesels nur eine Metapher für das Ausbauen unserer Stollen, das vor allem Geld kostet. Je besser die Kohle sein soll, desto tiefer müssen wir graben, desto teurer wird es. Im Förderturm bewegen wir den Fahrstuhl zum Flöz, um ihn erst zu be- und dann wieder zu entladen. Im Verwaltungsgebäude schließen wir neue Aufträge ab. In der Bank kriegen wir auch Kohle, um flüssig zu bleiben, schließlich müssen wir noch das Gefährt unserer Kunden beladen und rausschicken, um einen Auftrag in Siegpunkte umzuwandeln. In der Kantine warten unsere Arbeiter schließlich bei Pilsken und Klarem auf das Schichtende.
Glück Auf ist Arbeitereinsetzen zum Kennenlernen. Kiesling und Kramer ergänzen die Konkurrenz um die besten Plätze um eine Management-Komponente. Lümmelt auf dem Feld, das ich jetzt gerade in Beschlag nehmen muss, schon einer rum, schicke ich ihn vorzeitig zum Duschen und anschließend zum Zechen. Dafür muss ich lediglich einen Arbeiter mehr als der vorherige Nutzer einsetzen. Der jeweilige Arbeitsschritt wird für mich also teurer, je später ich komme. Und dann wird einem schlagartig klar, dass die vielen Arbeiter zu Spielbeginn nur im Vergleich mit anderen Einsetzspielen viele sind. In der Zeche K&K sind es doch vergleichsweise wenige. Deswegen wird das Einsetzen auch eher zum Schichtende hin kribbelig, denn dann wird klar, ob die eigenen Strategie aufgeht oder ich mich zu schnell leer geschuftet habe und nur noch Notaktionen ausführen kann.
Da das reine Einsetzen des Personals zu wenig ist, haben k. u. k. Glück Auf noch ein wenig angereichert. Da ist zum Beispiel der Fahrstuhl- und-Fördermechanismus, der über Aktionspunkte gesteuert wird. Es gibt noch ein kleines Legespielelement beim Stollenausbau, macht der Herr Kiesling halt zu gern. Der wichtigste Zusatz aber ist eine Mehrheitenwertung. Es geht nicht nur darum, Aufträge zu erfüllen und dafür Punkte zu kassieren. Am Ende der drei Schichten geht es auch um Mehrheiten. Wer hat jeweils die größte Menge einer Kohlensorte ausgeliefert? Wer hat wie viele der verschiedenen Lieferfahrzeuge beladen? Wer hat wie viele Loren in den jeweiligen Stollen stehen? Das Ganze baut sich langsam auf. Nach der ersten Schicht geht es lediglich um die Kohlenarten, am Ende der Nachtschicht werden sogar alle drei Mehrheiten abgefragt. Und je später eine Wertung ins Spiel kommt, desto mehr können der Erste und Zweite damit absahnen.
Die Quintessenz: Innovation geht anders als Glück Auf. Wie gesagt, das Spiel ist ein ideales Arbeiter-Einsetzspiel, um diese Spezies überhaupt erst einmal kennenzulernen und die in der Fachliteratur so häufig erwähnten Gelegenheitsspieler an die Materie heranzuführen. Die Regeln sind simpel und eingängig, Glück Auf spielt sich locker, ist aber trotz der eigentlich nur fünf möglichen Aktionen variantenreich. Wenigspieler sind gut gefordert, ohne gegen Vollprofis unterzugehen; jene Vollprofis wiederum sind nicht unterfordert, werden aber auch nicht mit der Zunge schnalzen. Für sie ist Nauticus bei Kosmos, das meiner bescheidenen Meinung nach in der Spielbox in der Summe einen Tick zu negativ bewertet wurde, die bessere Wahl. Und wenn ich für eine Nicht-Geek-Runde eine der Kiesling-Neuheiten raussuchen sollte, würde ich auch Sanssouci bei Ravensburger Glück Auf vorziehen. Wobei die thematische Einbettung bei diesem Bergbauspiel deutlich besser gelungen ist als das Gartenbau-Thema, aber da finde ich einfach das Spiel eine Spur origineller.
Was nun kommt, ist jammern auf hohem Niveau an einem Spiel, das, wie man es bei k. u. k. gewohnt ist, handwerklich einwandfrei konstruiert ist. Die beiden wissen einfach, wie es geht. Das Rumgemäkel ist der Blick aus Vielspielerrunden auf Glück Auf, Familien werden sich an keinem der Punkte stören. Warum auch. Ihnen wird es gar nicht auffallen, sie werden Spaß daran haben, Kohle zu fördern – wahrscheinlich genau aus den Gründen, die uns neuheitensüchtigen Miesepampeln schnell mal missfallen.
Nur: So flüssig die Abläufe sind, so kurz eigentlich die Spieldauer erscheint, stellt sich das unschöne Gefühl ein, das alles viel zu problemlos läuft, ohne Haareraufen, ohne regelmäßigen Aufstöhnen und Verzweifeln. Das liegt wahrscheinlich daran, dass das Spiel im redaktionellen Tuning einen Hauch zu glatt gebügelt wurde, die Zwänge sind eher in homöopathischen Dosen zu spüren. In wahre Entscheidungsnöte kommt man sehr selten, meistens gibt es etwas zu tun, was immer noch zumindest okay ist und einen nicht weit hinter die Konkurrenz zurückwirft. Und wenn einmal nicht die richtige Lore oder der gewünschte Auftrag ausliegen, kann ich mir immer noch aus den jeweils obersten Fünf des verdeckten Nachziehstapels ein Plättchen oder eine Karte aussuchen. Und siehe, da ist allermeistens auch etwas Brauchbares dabei.
Ein unschöner Effekt ist auch, dass man während der dritten Schicht frühzeitig seine letzten Aufträge erfüllt. Das liegt vielleicht daran, dass man zu vorsichtig spielt, und sehr wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass man doch recht genau überschauen kann, ob man Aufträge in der letzten Runde noch erfüllen wird oder nicht. Das führt dazu, dass man eben keine Aufträge mehr annimmt und die letzten Züge über 1b-Lösungen runterspielt, um so zumindest in den typischen Endwertungen à la „Je drei Kohleklötzchen bringen noch einen Punkt“ den einen oder anderen Zähler aus dem Siegpunktelappen zu wringen. Das mit der Zurückhaltung bei der Auftragsakquise wird vielleicht auch instinktiv so gehandhabt, weil jeder nicht erfüllte Lieferkontrakt einen Minuspunkt bedeutet, was im Grunde läppisch ist und in unseren Partien nie spielentscheidend gewesen ist – aber der gewiefte Kohlebaron am Spieltisch preist diese Strafe im Hinterkopf immer mit in seine Entscheidungen ein.
Tja, und die Schieflagenwertung – auf jeder Seite des Fahrstuhls werden die Lorenplättchen (links die mit lodernden Laternen, rechts die stockedusteren Stollenstränge) gezählt, für jedes Plättchen Differenz gibt es zwei Strafpunkte – ist auch eher kosmetischer Natur. Es ist doch recht einfach, irgendwie im Gleichgewicht zu bauen, der Zwang, der mit dieser Regel erzeugt werden sollte, ist nicht groß genug. Bislang habe ich keine Partie erlebt, in der dieser Malus den Ausschlag über Sieg oder Niederlage gegeben hat. Was bleibt, ist solides Mittelmaß, übersetzt wäre es die Spielbox-Note 6.
Die Stilkritik
Über jeden Zweifel erhaben ist das Artwork von Dennis Lohausen, der die Atmosphäre der wilhelminischen Industriearchitektur brillant einfängt. Die Fensterfront der Lorenfabrik greift die Formenprache von Sakralbauten auf, sodass dieser Fabrikteil wie eine Kathedrale der Arbeit wirkt. Im Kontrast dazu der rote Klinker des imposanten Verwaltungsgebäudes, das fast den Charme einer Villa hat. Ein paar Arbeiter tummeln sich auf dem Gelände, vom Handkarren bis zur bereits Rauch speienden Lok stehen die vollgeladenen Fahrzeuge der Kunden bereit zur Abfahrt. Das alles ist einfach stimmig und schön. Selbst für das eine oder andere verspielte Detail war auch noch Platz, zum Beispiel den Fuchs, der im Bildhintergrund um den Weiher streicht. Wie wundervoll der Plan ist, wird auf der Rückseite des Spielbretts deutlich, der wie eine vergilbte Kohlezeichnung des Industrieareals wirkt. Typisch Lohausen sind die teils aufgeweichten Konturen, sodass zum Beispiel die Gesichter der Arbeiter auf dem Cover nicht scharf zu erkennen sind, sondern eher angedeutet wirken. Dadurch bekommt seine Arbeit eine malerische Qualität. Das alles ist top.
Zur Gestaltung gehört aber auch das Spielmaterial. Sehr gelungen sind die eigenen Bergwerke, in denen ein Aufzug rauf- und runterfährt, um die Kohlen einzuladen. Die Idee mit dem Aufzug im Spiel war es auch, aus der Glück Auf entstand (wie uns Michael Kiesling erzählte). Das ist einfach ein gelungenes Gimmick, das den Spielreiz nicht unerheblich – zumindest in den ersten Partien – positiv beeinflusst. Immer wieder kritisiert wurde, dass die sich die Pappe der Bergwerkspläne biegt. Das stimmt, allerdings ist das in unserem Exemplar nicht gravierend, nichts also, was man nicht durch zärtliches Gegenbiegen reparieren könnte.
Schade ist, dass die Arbeiter nur simple Oktaeder sind. Da sind wir verwöhnte Spielerbande heutzutage einfach anderes gewohnt, spätestens seit Erfindung des Carcassonne-Meeples wollen wir Besseres. Wobei die Klötzchen natürlich trotzdem funktional sind, der Spielfluss nicht leidet. Von daher: geschenkt.
Nicht so gelungen sind dagegen die Geldscheine. Mal abgesehen davon, dass die Papierlappen schwer an die eigene spielerische Sozialisation in den 1980er-Jahren mit MB-Spielen erinnern (was positiv gemeint ist), sind sie einfach etwas unbequemer in der Handhabung als Pappmarker, wobei die Papierdicke für Spielgeld wirklich gut ist. Und obwohl die Werte der Scheine sehr gut zu erkennen sind, sodass verschiedene Farben für die Scheine nicht nötig sind, um die Eine-Mark-Note vom papierenen Heiermann zu unterscheiden, wurden – kleine Spielerei – die Scheinrückseiten individuell gestaltet. Auf dem Fünfer sind dann sogar Kramer und Kiesling zu sehen, wie sie, ganz die Patriarchen der Zeche, den Betrachter noch einmal kurz anlächeln, bevor die Kohle für eine neue Lore auf den Kopf gehauen wird. Der Gestaltungswille bis ins Detail ist erkennbar, aber die Umsetzung sieht ein wenig so aus, als wenn dafür Grafiken aus einem 80er-Jahre-Computerspiel auf die Scheine gesetzt wurden und dann alles sehr grobpixelig in den Druck ging. Das sieht einfach nicht aus – was eben im Vergleich zu den sonst so wundervollen Grafiken von Glück Auf ins Auge sticht.
Außerdem wurden gespielt: Concept, Fünf Gurken, Polterfass, Vegas, Viticulture
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