Hundsmühlen, im Oktober. „Rulla, rulla, rullala, rulla, rulla, rullala“. Worte, die man wirken lassen muss. Ein Refrain wie Donnerhall. Und vor allem in seiner onomatopoetischen Wucht ein klarer Beweis, dass das angeblich schwäbische Volkslied wahrscheinlich eher einmal „Auf der russ’sche Eisenbahne“ hieß, ein Smashhit der Donauschwaben – und der perfekte Soundtrack zur ausgelaufenen Spielesaison, in der am Ende Russian Railraods noch einen Champios-League-Platz erklomm und den Deutschen Spielepreis gewann. Ein guter Grund also, um am letzten offenen Spieleabend der Pöppelheldenvor den Internationalen Spieltagen 2014 in Essen den Blick einfach noch mal versonnen zurückschweifen zu lassen. Teilweise so weit, dass er schon wieder nach vorne geht. „Rulla, rulla, rullala, rulla, rulla, rullala“.
Russian Railroads von Helmut Ohley und Leonhard Orgler bei Hans im Glück
Udo Bartsch – ja, schon wieder ein Bartsch-Zitat an dieser Stelle, aber wie soll man an dem Mann derzeit vorbeikommen? –, Udo Bartsch also, das Rasiermesser unter den Rezensionisten, die Kettensäge der Kritik, urteilte: „Russian Railroads prescht vom Start weg los, hat keinen Leerlauf und packt viele Entscheidungen in eine angenehme Spielzeit.“ In der Tat: Bei kaum einem anderen großen Titel ist es heuer derart einfach gewesen, Mitspielwillige zu finden. Selten kannten so viele auch die Regeln, sodass wir einfach losspielen konnten – wenn auch eventuell mit kleinerem Korrekturbedarf im Laufe der Partie. Und das, liebe Freunde der slawischen Volksmusik, ist ein Grund zu singen: „Auf der russ‘sche Eisebahne wollt amal a Bäurle fahre, / geht an Schalter lupft de Hut: ,Oi Billetle, seid so gut!‘ – Rulla, rulla, rullala, rulla, rulla, rullala“.
Dieses Mal ist es Genosse Bodow, der gern noch mal zeigen möchte, dass er ein großer Eisenbahnschienennetzoptimierer ist. Wie er ja sowieso ein großer Optimierer ist, ein Premier-Liga-Spieler im Vergleich zu uns aus der Kolchose-Truppe. Deswegen gilt gegen Bodow das Gleiche wie bei Spielen mit Genosse Putin: Er gewinnt, ist glücklich, lässt uns alle weiter in Freiheit leben, während wir Unwürdigen Bolschewiki – was übersetzt Mehrheitler heißt, und die, die gegen Bodow verlieren, sind immer in der Mehrheit –; während wir Unwürdigen also einfach den Sieger unter uns allein ausspielen. Der Zweite ist demnach der eigentliche Gewinner. Können wir alle gut mit leben, um nicht Trübsal zu blasen, singen wir einfach weiter: „Eine Geiß hat er sich kaufet, und dass sie ihm net entlaufet, / bindet sie de gute Ma hinte an de Wage na. – Rulla, rulla, rullala, rulla, rulla, rullala“.
Bodow setzt sich auch früh ab, nach der vierten Runde, dieses Mal mit Gleisbau. In der Partie zuvor hat er dieses Eisenbahnspiel ohne nennenswerte Gleisaktivität gewonnen, sagt er. Und bestätigen andere, die dabei waren. Dieses Mal will er es also mit einer gepflegten Infrastruktur für den öffentlichen Personennahverkehr punkten. Vor allem nach Kiev zieht es ihn, früh, viel zu früh für unser aller Geschmack bekommt er die Kiev-Medaille verliehen. Kriegt die eigentlich jeder? Offensichtlich. Ja, Bodow ist der Beste, scheint’s. Bis dann am Ende die große Wende kommt, weil das Politbüro die Strecke nach Vladivostok viel toller findet und Genosse Andrej Beckerowitsch mit seinem namenlosen Ingenieurs-Heer (wieso haben die neuen Politechnika-Absolventen eigentlich Namen, während die alten anonym bleiben mussten?) doch noch den Russischen Orden des Heiligen Andreas des Erstberufenen verliehen bekommt. Da guckt der Bodow aber. Und zwar in die Röhre. Und fühlt sich wie unser mittlerweile lieb gewonnener donauschwäbsche rKleinagrarier: „Auf de nächste Statione, wo er will sein Böckle hole, / findt er nur noch Kopf und Soil an dem hintre Wagetoil.“ Na, komm, Genosse Bodow Thevissowitch, lass den Kopf nicht hängen, sondern schmetter lieber diesen Refrain mit: „Rulla, rulla, rullala, rulla, rulla, rullala“.
Die heiße Schlacht am kalten Buffet von Alex Randolph bei Ravensburger
Neue Platte, dieses Mal Reinhard Mey: „Mit feurigem Blick und mit Schaum vor dem Mund kämpft jeder für sich allein, / und schiebt sich in seinen gefräßigen Schlund, was immer hineinpasst, hinein.“ Ja, das beschreibt das Spielgefühl dieses Klassikers schon sehr schön. Ist aber ja auch ein wundervoller Würfelmechanismus – und es zeigt, dass Huckepacktragen keine Erfindung von Camel Up ist. Ja, das Spiel ist herrlich albern, ja, das Spiel ist vollkommenes Würfelglück. Aber selbst bei allem Frust, immer nur so kleine Häppchen zu knuspern und nur die Krümel von der Tischdecke abzustauben: Es macht Spaß. Franjos Spieleverlag bringt es in Essen neu heraus, dieses Mal kreisen wir nicht hungrig um die Festtafel, sondern schwimmen als Schildkröte um die Seychellen-Insel Mahé und versuchen, möglichst viele Eier abzulegen. Mal sehen, ob das Spiel auch in schön funzt – oder ob es ein abgefahrenes Thema benötigt.
Verflixxt von Michael Kiesling und Wolfgang Kramer bei Ravensburger
Wenn wir schon bei würfelgetriebenen Oldtimern sind, dann doch gleich noch einen Kramer-Kiesling-Klassiker nachschieben. Verflixxt ist schon ein großes Sechsseiter-Spektakel, weil es so schön ausgetüftelt ist. Es drängt sich aber die Frage auf, warum es immer Titel mit Doppel-X sein müssen, wenn das Doppel-K bei Ravensburger veröffentlicht. Zuletzt hatten wir Abgeluxxt. Unvergessen auch: Mexxica. Oder auch Axxara, das Turmbauspiel. Oder Kieslings Solo: Sanxxouxi. Das ist schon ein bisschen albern.
Castellan von Beau Becket bei Steve Jackson Games
Und während die Gemütlich-Spieler-Runde noch die Lords of Waterdeep besticht, noch mal schnell Burgenbau für Innenhoffetischisten. Der Aufforderungscharakter mit den Türmchen und Mauern – wenn auch aus Plaste und nicht aus Birkenfunier gefräst – ist hoch. Der Spielreiz entwickelt sich, wenn man lernt, dass man nicht immer rechtwinklig bauen muss. Schön ist, dass die Burg jedes Mal andere Formen annimmt. Aber schön allein reicht dann doch nicht, auch die inneren Werte müssen irgendwie doch stimmen. Und irgendwie hatten, glaube ich, weder Michael noch ich das Bedürfnis, in absehbarer Zeit, die oft leicht hakeligen Plastikbauklötze nach Kartendiktat zusaamenzustecken. Da wird – um den Bogen zum Intro zu schlagen und den Blick wieder nach vorn zu richten – jetzt in Essen deutlich Spannenderes für zwei Spieler erscheinen.
Gespielt wurden außerdem an diesem Abend: Blueprints, Cacao, Caverna, Five Tribes, Fünf Gurken, Geistesblitz, Guildhall, Mascarade, Lords Of Waterdeep, Love Letter, Pick-A-Pig
Es spielten: André E., André K., Andreas, Bettina, Birthe, Bodo, Christian, Claudia, Curt, Dirk, Jens, Jonathan, Maren, Michael, Olaf, Peggy, Pia, Robert, Stephanie, Uta, Wiebcke
Weitere Impressionen des Abends:
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