Essen, 16. Oktober 2016
Du weißt doch: Früher war alles besser, früher war alles gut, da hielten alle noch zusammen, die Bewegung hatte noch Wut. Was aber ja für die Bewegung der Brettspielbegeisterten nicht gilt. Wenn Essen startet, dann vergessen sie alles um sich herum. Sie werden Egoisten, die alles tun, um einen freien Platz an einem der Spieletische zu ergattern. Sie stehen stundenlang an, um möglichst kostenlos irgendwelche Goodies abzustauben. Oder am besten gleich ganze Spielepakete, weil die Titel ja für irgendein obskures Organ rezensiert werden wollen. Nein, das ist keine Bewegung, mit der man – wenn das Verhalten diese Ausmaße erreicht – gern im Verbindung gebracht werden möchte.
Früher war alles besser, das haben in diesem Jahr aber vielleicht auch die Organisatoren der Spiel gesagt. Denn irgendwie fühlte sich der Donnerstag ganz komisch leer an. Es war eigentlich kein Problem, irgendwo einen Tisch zu bekommen. Acht Partien habe ich heute gespielt, liebes Tagebuch, bis auf eine sogar alle bis zum bitteren Ende. Aber am Ende des Tages beschlich uns irgendwie alle ein ganz intensives Früher-war-alles-besser-Gefühl, denn das große Aha-Erlebnis, die große Entdeckung des Tages, ein Geheimtipp oder wenigstens ein Nicht-einmal-Geheimtipp, sie blieb aus. Wo soll ich anfangen, mein Leid zu klagen? Am besten bei den Enttäuschungen.
Paititi von Walter Schranz bei Österreichisches Spielemuseum
Paititi, eine sagenumwobene Stadt irgendwo im Regenwald, der Ort, an den die Inkas flohen, als die spanischen Besatzer 1572 den Rückzugsort Vilcabamba einnahmen. Paititi, ein Ort, in dem die Schätze gehortet wurden, wie es in der Sage heißt. Und nun kommen wir, pflügen die zugewucherten Ruinen mal ordentlich um, finden historisch interessante Staubfänger und stellen sie dann den Bildungsbürgern der westlichen Welt in Vitrinen aus. Klingt gut, was sich Walter Schranz da als Geschichte ausgedacht und was das Österreichische Spielemuseum da herausgebracht hat. Doch die Realität sieht leider wenig prickelnd aus. Wir sammeln Karte der Sorte A, um sie dann gegen welche der Sorte B umzutauschen und schließlich damit Sorte C ins Spiel bringen – leider fühlt sich Paititi so an, rein mechanisch, es bleibt irgendwie flach. Die Atmosphäre, die Peter Prinz so unvergleichlich dicht selbst in seinem abgespeckten Jenseits von Theben: Das Kartenspiel – Die Grabräuber rübergebracht hat, sie fehlt in diesem kleinen Kartenspiel völlig. Es machte einfach keinen Spaß. Die Zeit hätten wir uns sparen können.
Bakerspeed von Marko Jelen bei Österreichisches Spielemuseum
Allerdings war der Grund, die Österreicher heimzusuchen, liebes Tagebuch, ja doch ein anderer: Bakerspeed, der Nachfolger von Händler der Karibik als Sieger des Spieleautoren-Wettbewerbs 2014 der Wiener Spieleakademie in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Spielemuseum. Marko Jelen gewann die Herzen der Jury mit seiner Verbindung aus Würfel- und Kartenspiel. Dabei werden drei Sechsseiter nacheinander gerollt. Jeder zeigt Attribute der Verdächtigen, die es abzuspielen gibt. Der Figur-Würfel gibt vor, ob eine Frau, ein dicker oder ein dünner Mann abgeworfen werden muss. Dann folgt Würfel zwei, der sagt, welche Farbe die Karte haben darf. Allerdings dürfen jetzt nur noch Karten in die Mitte gepfeffert werden, die die Kriterien beider Würfel erfüllen. Analog geht es beim dritten Würfel zu. Wer am schnellsten ist, freut sich, weil er eine Karte weniger hat – und wer als Erster eine nackte Kartenhand vorweist, gewinnt. Warum die Jury zugestimmt hat, dieses Spiel auszuzeichnen, liebes Tagebuch, erschließt sich mir nicht. Diese Kombination aus Würfel- und Kartenglück und Reaktionsschnelligkeit wirkt irgendwie so wenig spielerisch, vor allem gegen Ende der Partie. Gähn. In meinen Augen ist Bakerspeed ein Flop, vor allem wenn man sieht, was für ein schönes Spiel im Vorjahr gewonnen hat.
Dino Race von Roberto Grasso bei Ares Games
So richtig durchgezündet hat auch Dino Race nicht. Obwohl es doch soooooooooooooo niedlich ist. Die Dinos sind wirklich eine Wucht. Aber das Spiel selbst? Nun denn, wir sammeln Karten, spielen sie aus und versuchen, das Dino-Ei vor dem ausbrechenden Vulkan zu retten. Blöd nur, wenn der Sechsseiter in einer, also konkret: in unserer Partie nie auf die Vulkan-Seite kippt. Nie. Dann fehlt dem Spiel aber auch der letzte Rest, der es spannend machen könnte. Und dass es keine Regel gibt, den Kontrahenten das Ei streitig zu machen, schwächt Dino Race nicht unerheblich. Denn jeder will doch schließlich den noch verhüllten Nachwuchs ins Ziel retten. Aber was soll man von einem Spiel halten, von dem am Ende vor allem dies im Gedächtnis blieb: niedlich. Selbst für Kinderspiele reicht das nicht. Obwohl Simone und Maren ja sagen, ihre Partie zu zweit sei toll gewesen. Und spannend.
Beasty Bar von Stefan Kloß bei Zoch Verlag
Kommen wir ins Mittelfeld dieses Spieletages, liebes Tagebuch. Wieland Herold sagt, dass sie am Mittwochabend bereits einigen Spaß mit Beasty Bar hatten. Die wahrscheinlich sehr ausgesuchte Abstimmerschaft der Fairplay findet es ja auch. Naja gut, wichtiger ist, wenn das einer aus der Jury Spiel des Jahres sagt, dann wird man natürlich hellhörig. Also sind wir kurz vor Toresschluss noch einmal zurück zu Zoch, Shari erklärt es uns sehr ordentlich. Aber der Funke, nun ja, er springt mal wieder nicht über – obwohl die Karten sensationell illustriert sind. Sen-sa-tio-nell. Aber: „Zu viele kleine Regeln, jede Karte hat ja eigene“, sagt André. Das macht es zumindest schwierig reinzukommen, das alles muss man erst einmal verinnerlichen und dann auch noch gewinnberingend anwenden, um seine Tiere in der Gästeschlange vor der Beasty Bar so in Position zu bringen, dass sie auch wirklich reinkommen. Ist immerhin die härteste Tür der Stadt. Und die härteste Warteschlange. Aber wir werden Beasty Bar nicht aufgeben, wir werden es weiter beobachten, Wielands Urteil ist uns viel wert.
Hellweg westfalicus von Michael Schacht bei Spiele aus Timbuktu
Michael Schacht – mittlerweile mit einem weißen Zaubererbart direkt aus Mittelerde ausgestattet – feiert heuer sein 25-jähriges Bühnenjubiläum. Zusammen mit Abacus, die ihm wegen Zooloretto viel zu verdanken haben. Aber auch mit dem Eigenverlag, Spiele aus Timbuktu. Hellweg westfalicus hat er da selbst herausgebracht. Und was soll ich sagen? Es ist ein Schacht. Die Handschrift ist unverwechselbar: Kurze Züge, schnelles Spielen. Im Westfälischen – teils gar im Hessischen oder Rheinländischen – handeln wir mit Bier, Salz und Eisen, jedenfalls in den Städten, in die unsere Kutschen fahren. Genug davon, um überall hinzukommen, haben wir nicht. Stichwort: Zwänge. Die Schlankheit und Direktheit ist durchaus schön. Allerdings auch die Schwäche des Spiels, sodass der Hellweg kein Highway To Hell ist, der rockt. Denn es sind ja gerade oft die kleinen Details, die Atmosphäre aufkommen lassen und uns das Eintauchen in Spielewelten ermöglichen. In diesem Fall kommt es einem aber eher nach Computerprogrammierung vor, in dem wir eine „Wenn …, dann …“-Bedingung nach der anderen abarbeiten.
Orléans von Reiner Stockhausen bei dlp games
Aber, liebes Tagebuch, es war auch nicht alles schwach oder mittelmäßig, es war auch etwas Schönes dabei an diesem Messedonnerstag in Essen. Wenn auch noch kein Spiel, das uns niederknien und Halleluja jubilieren ließ, kein neuer Erlöser. Aber wahrscheinlich stumpft man nach so vielen Jahren am Spieletisch selbst einfach immer stärker ab und nimmt gar nichts mehr wahr. Denn am Ende von Orléans sind wir zwar zufrieden, weil wir an so vielen Stellschrauben gedreht haben – wir sind durchs orleannische Hinterland gereist, haben dort Kontore gezimmert, haben studiert oder dem höfischen Alltag an der Burg gefrönt und so Ritter für unsere Schar gewonnen –, aber restlos verzückt sind wir dann auch nicht. Wobei wir alle gut gespielt haben: Vielen Dank an Gerhard an eine gute Erklärung. Das ist alles natürlich so sauber konstruiert, dass ein Rädchen perfekt ins andere greift. Und die auf Mittelalter getrimmte Optik sieht auch schön aus. Aber am Ende, vermuten wir mal so ins Blaue, würde Kritiker-Papst Bartsch wahrscheinlich das Aufkleberchen, auf dem „solide“ steht, auf den pappenen Umkarton heften. „Vielleicht auch reizvoll“, meint Tom. Aber für mehr fehlt dem Spiel dieses undefinierbare gewisse Etwas, das man in der Theorie nicht beschreiben kann, das man nur spürt, wenn man Brett sitzt und es einen packt. Obwohl: Die Fairplay-Abstimmer sehen das anders. Ich glaube, sie irren sich aber. Orléans ist gut, aber nicht herausragend. Tom bringt es auf den Punkt: „Unter den Einäugigen …“
Roborama von Gérard Pierson, Dennis Kirps und Patrick Zuidhoff bei PLAYTHISONE
Können eigentlich nur kleine Dinosaurier und Babyrobben niedlich sein? Nein, auch Roboter können so süße Kullerscheinwerferaugen haben, dass wir alle ganz schwach werden. Also schon einmal ein Punkt für Roborama, weil unsere Herzen dank des Kindchenschema-Tricks erweicht sind. Der Rest ist simpel: Wir programmieren unsere Maschinen, auf dass sie einmal diagonal über den Plan in ihre Heimatgarage fahren. Der Trick: Haben wir eine Lochkarte in den imaginären Steuerungsmechanismus unseres Bots gesteckt, müssen wir sie vor dem nächsten Einsatz erst reaktivieren, und zwar in dem wir den Botti auf ein Feld fahren lassen, auf dem das Symbol der Karte, die reaktiviert werden soll, abgebildet ist. Dann dürfen sie wieder auf die Hand nehmen und erneut ausspielen. Da es nur sechs dieser Karten gibt, droht die Gefahr, sich schnell leer zu spielen. Tricky. Zudem stehen natürlich immer die anderen Robos im Weg, und da jede Maschine pro Zug eigentlich nur geradeaus fahren kann, wird es auch nicht einfacher, den Weg ins eigene Körbchen zu finden. Roborama fühlt sich in der Grundversion schon ganz nett an, ein gutes Gefühl verströmte aber auch Autor Dennis Kirps, der die Partie – trotz des immensen Stresses am Stand – wunderbar hingebungsvoll erklärte. Aber die Einstiegsstufe sollte es wirklich nur zum Lernen sein, sonst dürfte es zu simpel werden. Denn um zu überzeugen, braucht es einen Störenfried. Der ist auch schon dabei, in Form des bösen Riesenroboters, aber zum Einsatz kam er noch nicht. Erst mit ihm wird sich zeigen, ob Roborama das verspricht, was es in der kinderfreundlichen Grundversion verheißt.
Mangrovia von Eilif Svensson bei Zoch Verlag
Einen Gewinner des Tages hatten wir dann doch: Mangrovia. Unser Tagesauftakt, danach ging es eigentlich zielsicher bergab. Nun ja. Mangrovia ist sicherlich nicht das neue Russian Railroads, aber es ist ein wunderbares Spiel für Familien, die schon ein bisschen Erfahrung haben. Der Zugmechanismus mit dem uns umkreisenden Boot, das uns zwei Mal pro Runde eine Aktion ausführen lässt, die ganzen kleinen Wertungsdetails, die es zu beachten gibt, die einmal mehr sich so wohlig warm und gut anfühlende Ausstattung. Das alles lässt einen gar nicht so klar spüren, dass es letztlich darum geht, ein paar Karten zu sammeln, um anschließend seine Basthüttchen auf die ertragsträchtigsten Claims zu flanschen. Das ist nicht aufregend, aber rund. Würden wir jederzeit noch mal mitspielen. Vor allem so lang die Suche nach der neuen Perle weitergeht.
Und sonst? WG-Feeling am Abend. Nudelsalat mit Würstchen (lecker), ein paar Altbier (süffig) und eine Packung Lebkuchen (Danke, liebe Großhandelsketten, dass ihr diese Weihnachtsspezereien schon ab Sommer in die Regale stellt). Dann eine Runde Machi Koro. Viel Würfelglück. Sehr viel Linearität: Geld nehmen, Geld ausgeben für Gebäude, keine wirkliche Produktionskette. Schön ist nur, dass vor einem die Auslage wächst. Aber sonst? Auch nichts, was man kennen muss, finde ich, lass Dich von der Fairplay-Liste nicht irritieren, liebes Tagebuch.
Und schließlich, die Mädels sind schon im Bett, noch eine Runde Patchwork. Sehr geschmeidig, sehr schön, wunderbar austariert. Spielerisch und optisch ein Genuss, rundum gelungen.
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