Essen, 18. Oktober 2014

NudelnLiebes Tagebuch,

Samstag ist ja immer Griechen-Abend. Das Lamm mit den Okraschoten war lecker. Aber der Service, der kam nicht hinterher. Der Laden war voll, die Jungs und das Mädel waren heillos überfordert, alle Essen, alle Getränke kamen lahmend. Aber der Chef vom Aphrodite ist ja einer, der weiß, wie man solche Fehler wieder gutmacht. Er lässt einfach einen Ouzo nach dem anderen auftischen. Und selbst, als wir schon draußen auf der Straße stehen und noch kurz mit ihm plaudern, weist er seinen Kellner an, noch mal sieben Anisschnäpse zu bringen. Es ist irgendwie schon ein bisschen komisch, so mitten auf der Straße Schnaps zu exen. Aber danach sind wir alle: milde gestimmt. Wir werden wohl nächstes Jahr wiederkommen. Trotz Service-Schwächen. Aber genau diese griechische Gastfreundschaft und dieser ungesunde Ouzo-Konsum sind auch die Gründe, weshalb ich Dir dieses Mal etwas später berichte, liebes Tagebuch.

Milde stimmte uns nun auch der dritte Messetag. Wir sind zurückgekehrt auf die Pfade des Mainstream. Denn wenn die Perle schon nicht abseits des Weges zu finden ist, dann vielleicht doch auf den Wegen, die so viele beschreiten wollen, der Pilgerfahrt der Freaks. Was haben wir denn auch für eine Wahl? Keine, um ehrlich zu sein. Noch so ein Tag wie Freitag, und unsere Alkoholvorräte in der eher hässlichen Ferienwohnung (aber damit passt sie auch ganz gut in diese Stadt) hätten wahrscheinlich nicht ausgereicht, um die Wunden zu heilen.

Sympathisch: Auf Grog Island wird tatsächlich ordentlich Grog gesoffen. Und ganz nebenbei müssen die Würfel richtig klug eingesetzt werden.

Sympathisch: Auf Grog Island wird tatsächlich ordentlich Grog gesoffen. Und ganz nebenbei müssen die Würfel richtig klug eingesetzt werden.

Grog Island von Michael Rieneck bei eggertspiele und Pegasus Spiele

Es las sich wie eine lockere Würfelei, jedenfalls das, was vorher so durch die Gazetten der Spieleszene geisterte. Aber ganz so locker ist Grog Island dann doch nicht. Zwar wird gewürfelt – aber dann gilt es, das Gewürfelte clever einzusetzen. Zum einen zum Bieten um das Amt des Haupthandlungsbevollmächtigen (jaja, diese Scheiß-Piratenbürokrtatie bringt solche Wöter zustande), zum anderen möglichst so, dass man selbst als Höchstbietender auf denen der fünf Inseln seine Aktion ausführen kann, die einem in der Schlusswertung Punkte bringt. Das ist sehr schön ausgedacht und fühlt sich wirklich mal wieder unverbraucht an. Dass es zudem echt gut aussieht, verwundert nicht. Dafür steht erstens der Name Klemens Franz und zweitens gibt sich Eggert in den vergangenen Jahren echt Mühe. Und die Sarah erklärt es auch wirklich routiniert, danke Dir dafür. Der Clou besteht in Grog Island nun darin, in der Versteigerung zu Rundenbeginn dann zuzuschlagen, wenn man wirklich effektiv etwas für seine Siegbedingungen tun kann. Obwohl jeder, der aus der Versteigerung aussteigt, auch ganz hübsch alimentiert wird, sodass der ewige Verlierer nicht komplett in die Röhre guckt und stattdessen so peu à peu ebenfalls im Hintergrund etwas sehr Siegpunktträchtiges vorbereiten kann. Was für ein wundervoller Start in den Tag.

Während ein Teil der El-Gaucho-Truppe die Rindviecher auf der Weide einfängt, muss sich der andere um die teils nicht so legalen Sonderaktionen kümmern.

Während ein Teil der ElGaucho-Truppe die Rindviecher auf der Weide einfängt, muss sich der andere um die teils nicht so legalen Sonderaktionen kümmern.

El Gaucho von Arve Daniel Fühler bei Argentum Verlag

Konfuzius sagt: „Gaucho nennt man in Argentinien, Paraguay, Uruguay, Bolivien, Chile und in Brasilien vorwiegend Nachkommen von iberischen Einwanderern und Indigenas, die in den Pampas Viehzucht betreiben. Eines der wichtigsten wirtschaftlichen Erzeugnisse der Gauchos war Rindsleder und später Trockenfleisch.“ Gut, vielleicht sagt das auch Wikipedia. Oder der Redakteur in der Glückskeksfabrik. Man weiß es nicht. Großartig ist schon mal, dass es zum Würfeln ein eingezäuntes Feld auf dem Spielplan gibt, eine Sechsseiter-Koppel. Großes Kompliment. Sowieso ein Kompliment an Dennis Lohhausen, der wieder Großartiges geleistet hat. Und Dank auch an Jason, für eine sehr gute Erklärung. Der Rest ist simpel: Wir wollen möglichst lukrative Rinderherden züchten. Dazu sichern wir uns die Viecher auf der Weide, die wir mit den Würfeln, von denen wir jede Runde nur läppische zwei auswählen, bezahlen dürfen. Wer sich einen Ochsen gerade nicht leisten kann, darf ich auch in Raten bezahlen, bekommt ihn dann aber später. Damit es nicht zu langweilig wird, gibt es noch ein paar Sonderaktionen: da sind die Viehdiebe, da ist der gerissene Händler oder auch der Gaucho, der die ausgerissenen Rinder in der Pampa einfängt. Alles ist voller Zwänge, weil die Würfel natürlich nie so fallen, wie sie der einzelne gerade braucht. Und vor allem die, die hinten sitzen, müssen mit der Grütze, die übrig bleibt, manches Mal zaubern. Aber das zeichnet ein Spitzenteam doch aus: Es kann auch unter widrigsten Bedingungen das Beste herausholen. Deswegen jetzt ein: Achtung, es folgt eine Einzelmeinung. Mir hat El Gaucho gut gefallen, Maren, Simone und André fanden es eher so mittel. Zu grübelig für das, was es sein will, meinte André. Als wir bei Grog Island über den besten Würfeleinsatz grübelten, kam es ihm nicht so lange vor. Mmmmh. Ist wohl alles stimmungsabhängig. Aber ich sage: Anspielen.

Büdchen müssen in die Nähe der LOieferwagen gebaut werden, Flohmasrkstände indes so gesetzt werden, dass sie nur die Gegner blockieren. Markttagplanung kann durchaus kunstvoll sein, lehrt und Frischfisch.

Büdchen müssen in die Nähe der Lieferwagen gebaut werden, Flohmarktstände indes so gesetzt werden, dass sie nur die Gegner blockieren. Markttagplanung kann durchaus kunstvoll sein, lehrt uns Frischfisch.

Frischfisch von Friedemann Friese bei 2F-Verlag

Wäre Friedemann Friese Rockstar, er hätte dieses Jahr gleich drei Sepcial Editions herausgebracht, seine Longplayer noch mal entstaubt, einzelne Tracks neu aufgenommen, andere leicht neu arrangiert und auf die Scheiben noch ein bisschen Bonusmaterial gepackt. Er selbst sagt auch ganz frank und frei: „2014 ist das Jahr der Remakes.“ Neben dem verbesserten Funkenschlag hat er sich auch des Oldies Frischfisch angenommen. Er hat es dafür einfach der großen Mehrheit der Menschheit, nämlich den circa 98 Prozent 2D-Denkern, angepasst. Und Harald Lieske hat es übersichtlicher gemacht, die kleinen Holz-Laster und –Büdchen und –Flohmarktstände tun ihr Übriges. Sehr tolles Material also. Die Geschichte ist gleich geblieben. Es ist Markttag, wir alle betreiben Büdchen, um unser Eis, unseren Käse, den Fisch und auch die Limonade zu verkaufen. Wir wollen natürlich möglichst frische Waren anbieten, weshalb kurze Lieferwege sinnvoll sind. Und die wollen wir schaffen. Was aber wegen der Flohmarktstände und der Interaktion der Mitspieler gar nicht so einfach ist. Nach dem eher mechanischen Fremde Federn und dem leider nicht so reizvollen Futterneid mal wieder ein durchweg toller Friese. Auch das ein unbedingter Anspieltipp von den Pöppelhelden.

Mit der opulenten Zeichenkunst kommt der sehr abgespeckte und knochige Drafting-Mechanismus von Medieval Academy dann leider nicht mit.

Mit der opulenten Zeichenkunst kommt der sehr abgespeckte und knochige Drafting-Mechanismus von Medieval Academy dann leider nicht mit.

Medieval Academy von Nicolas Poncin bei Blue Cocker

Christian, der in diesem Jahr mit seinem Erik, der Rote den Hippodice-Wettbewerb gewonnen hat und sein Wikingerspiel gestern auch auf der Messe vorstellte, fand Medieval Academy ganz gut. Also sind wir gleich mal rüber in Halle 4, um zu gucken. Und optisch war das Spiel auch glatt eine eins, das können sie ja, die französischen Verlage, schöne Spiele machen. Das Spiel selbst ist aber dann doch ein bisschen mager, wo wir Pöppelhelden es doch mögen, wenn ein bisschen mehr Fleisch auf den Knochen ist. Im Grunde hat Poncin mit seinem Spiel den Drafting-Mechanismus von Bauzas 7 Wonders bis auf das Skelett abgenagt: Wir suchen uns eine Karte aus, geben die restlichen weiter, und die vier Karten, die am Ende von uns auserwählt wurden, werden am Ende gewertet. Jede bringt auf einer von sieben Skalen Punkte, die wir voranschreiten. Dann gibt es nach jeder Runde für einige der Scheiben Wertungen, die Siegpunkte aufs Konto überweisen. Drei Tafeln tun dies seltener. Medieval Academy ist ein bisschen wie Sushi Go! bei Zoch, mit dem wir nicht glücklich waren. Mechanismen zu sehr herunterzubrechen, scheint dann doch keine Lösung. Die Pöppelhelden sagen: Wir brauchen keine Magermodels.

Showdown auf dem Zugdach: Bei Colt Express wird geschossen, verkloppt, geklaut und falsch gepalnt. So soll es wohl sein.

Showdown auf dem Zugdach: Bei Colt Express wird geschossen, verkloppt, geklaut und falsch geplant. So soll es wohl sein.

Colt Express von Christophe Raimbault bei Ludonaute und Asmodee Deutschland

Wieder ein Franzose. Und wieder sieht es spektakulär aus. Der dreidimensionale Zug ist ein absoluter Hammer. Das Spiel selbst boxt natürlich nicht in der Gewichtsklasse seines Vorgängers Lewis & Clark, Colt Express ist aber durchaus unterhaltsam. Wir sind Diebe und wollen möglichst viele Passagiere in einem Zug ausrauben. Unsere Kontrahenten versuchen derweil natürlich alles, damit wir nicht die meisten Kuchenstücke essen; anders gesagt: Sie wollen, dass wir wieder welche unserer Beutestücke verlieren. Dabei programmieren wir unsere Züge im Zug vor, legen nach und nach die Aktionskarten für das aus, was dann im Spielzug geschehen soll. Und natürlich klappt dann nicht alles so, wie es in der vorherigen Theorie einmal grandios klang. Denn irgendwie funken die Kollegen oder der Sheriff immer mal dazwischen. Wer also perfekt aufgemachte Spiele mag, die nach dem Prinzip „Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt“ ablaufen, der sollte zugreifen. Wir werden es nicht kaufen, wären aber bei der nächsten Partie durchaus wieder dabei.

Seiji Kania, der Mann, der sich hervorragend auf einfache Kartenspiele versteht, hat - für seine Verhältnisse - mit Adventure Tours schon etwas Komplexes vorgelegt.

Seiji Kanai, der Mann, der sich hervorragend auf einfache Kartenspiele versteht, hat – für seine Verhältnisse – mit Adventure Tours schon etwas Komplexes vorgelegt.

Adventure Tours von Seiji Kanai bei Schmidt Spiele GmbH

Zuerst einmal eine große Verbeugung vor Anne Pätzke und Irene Bressel: Adventure Tours sieht irgendwie wundervoll aus, es hat nicht nur die Qualität von Comics (wie die Spiele der französischen Verlage), diese Illustrationen erreichen schon die Qualität von Gemälden. Das Spiel selbst ist so ein typischer Kanai, wenn so ein Urteil nach der einzigen bekannteren Veröffentlichung Love Letter überhaupt statthaft ist. Wir wollen in diesem Fall möglichst erfolgreiche Expeditionen durchführen. Dazu bedarf es der Unterstützung verwegener Abenteurer, die entweder helfen, unseren Trip besser auszustatten, oder die einen Obolus löhnen, um mitreisen zu dürfen. Und da es am Ende darum geht, die dicksten Obolus einzustreichen, gilt es, eine gute Balance zwischen den Mitreisenden und den Ausstattenden zu finden. Das spielt sich schlank, frisch, fromm, fröhlich, schön. Und entgegen dem Tipp, der uns nun schon öfter gegeben wurde (Beasty Bar bei Zoch), sind wir uns jetzt schon einig, dass Adventure Tours demnächst öfters auf den Tisch kommt.

Weil sie zu Hause teilweise nur so alten Krams aus Nürnberg zherumstehen haben, flüchten dieser Tage viele Menschen nach Essen. Die dortigen Auffanglager sind mittlerweile an ihre Kapazitätsgrenze gestoßen.

Weil sie zu Hause teilweise nur so alten Krams aus Nürnberg herumstehen haben, flüchten dieser Tage viele Menschen nach Essen. Die dortigen Auffanglager stoßen mittlerweile an ihre Kapazitätsgrenze.