Hamburg. Roberto Fraga lag im Bett und starrte an die Decke. Eine Spinne krabbelte dort, dann seilte sie sich ab. Und Roberto Fraga hatte eine Idee.
Hamburg, 8. Juni 2015. Auf der Bühne stehen Theo und Tara, sie halten Push A Monster von Wolfgang Dirscherl und Manfred Reindl. Es ist das erste Mal, dass Queen Games mit einem Kinderspiel die Chance hat, den wichtigsten Spielepreis der Welt zu gewinnen, das deutsche TÜV-Siegel für Spielspaß, nichts weniger als den Spiele-Oscar. Die beiden Kinder sind acht Jahre alt, sie besuchen die Klasse 2b der Grundschule Goosacker in Hamburg. Eine Spieleklasse. Sie durften alle Kandidaten für das Kinderspiel des Jahres ausgiebig spielen. Und dann dürfen einige Kinder ihre Lieblinge präsentieren auf der großen Bühne im Weißen Saal des Hotel Atlantic Kempinski. „Mir gefällt, dass man geschickt sein muss“, sagt Tara. „Mir gefällt, dass es mit Monstern ist“, sagt Theo. „Aus bekannten Zutaten haben die Autoren ein sehr originelles Geschicklichkeitsspiel geschaffen, dessen taktische Tiefe sich erst allmählich entfaltet“, sagt die Jury.
Nürnberg, Februar 2013. Termin beim Zoch-Verlag, Roberto Fraga baut einen Prototypen auf, Redakteur Walter Scholz ist kurz raus aus der kleinen Standkabine, in der er während der Messe die Autoren-Gespräche führt. „Als ich zurückkam und das Spiel sah, fiel mir die Kinnlade runter“, sagt Scholz, während ihn ein kleines Mädchen bittet, ein Autogramm zu geben. „Das habe ich noch nie gemacht.“ Er beugt sich zu ihr herunter und schreibt, sogar mit Widmung. Zurück nach Nürnberg. Das, was Roberto Fraga da aufgebaut hatte, faszinierte Scholz. „Ich habe gesagt, wenn es ein gutes Spiel ist, will ich es haben.“ Und das Spiel war gut, noch nicht ganz ausgereift, aber gut. Die Idee mit den Ameisen, die unten auf dem Waldboden laufen, und den Spinnen, die sich abseilen, um die Ameisen einzufangen, war fesselnd. Fraga sagte, dass er das Spinnen-Spiel auch noch zwei anderen Verlagen angeboten hatte. Auch einem Branchenriese. Aber der Franzose mag Zoch, die Spiele, die immer so grandios ausgestattet sind. Er wollte es, wenn möglich, mit den Münchnern produzieren. Es war der Beginn einer Reise.
Zurück auf die Bühne, zurück in Hamburg. Spiel zwei in der alphabetischen Reihenfolge, Schatz-Rabatz von Karin Hetling. Präsentiert wird es von Vincent und Barbara. Ausgesucht wurde das „temporeiche Sammelspiel“, weil es „räumliches Wahrnehmungsvermögen, schnelle Reaktionen und planvolles Vorgehen“ erfordert. Mal sehen, was die Kinder gut finden: „Man muss gegen die Sanduhr spielen“, sagt Barbara. „Es ist sehr farbenfroh“, sagt Vincent.
München, Zoch-Hauptquartier. Irgendwann kam jemand auf die Idee mit Spinderella. Einfach so, eine Eingebung. Rund anderthalb Jahre Entwicklung brauchte das Spiel – in Essen auf der Spielemesse 2014 wollte Zoch es präsentieren. Sie mussten es kurz vorher zurückziehen. „Das erste Dreivierteljahr nach der Vorstellung in Nürnberg haben wir am Spielmechanismus gefeilt“, erinnert sich Walter Scholz. Das Spiel war noch ein wenig zu statisch. An den Würfeln wurde noch geschraubt. Der Baumstumpf eingeführt, um die Ameisen zu schützen. Dann ging es ans Material. Weil Spinderella die kleine Schwester ist, sollte die Spinnenfigur kleiner als ihre beiden Brüder auf dem oberen Spielplan sein. Die Idee ging nicht auf, der Magnet war dann zu schwach, um die Ameisen anzuziehen. Deswegen der Stopp kurz vor Essen. Und bei so einem Spiel muss jedes Detail stimmen. Sonst ist es kaputt. Scholz war in all der Zeit auch Materialkundler, der an jedes Detail denken musste. „Wenn das Seil zum Abseilen der Spinne nur zwei Zentimeter zu lang ist, funktioniert es nicht mehr“, sagt er. Das Gleiche beim Druck. Die beiden Spielpläne müssen millimetergenau produziert sein. In Nürnberg endlich konnte Zoch Spinderella präsentieren. Doch am Montag wurde der Akribie-Marathon mit dem blauen Pöppel belohnt.
An der Alster stürmen Amelie und Maurice die Bühne, sie stellen Kandidat Nummer drei vor. Sie finden Spinderella „lustig und farbenfroh“, erklärt sie, es sei toll, weil es mit Magneten ist, erklärt er. Dann der große Moment, Countdown und das schwarze Tuch wird gelüftet. Spinderella gewinnt. Jubel. Die Jury-Koordinatoren Sabine Koppelberg versucht, die Regie zu wahren und ruft alle Beteiligten auf die Bühne. Keiner kommt. Sie ruft noch mal. Und noch mal. Dann stehen sie da, die Kinder, Scholz, Fraga, Verleger Albrecht Wernstein. Sie stemmen die Trophäe in die Luft, den Birkenholzfurnierpöppel. Fraga sagt „It’s more than wunderbar.“ Und Scholz erzählt, dass es sehr selten ist, auf solch eine Idee zu stoßen. Das komme vielleicht alle sechs oder sieben Jahre vor, sagt er später in die Kamera von Hamburg 1. Und er bekommt jedes Jahr rund 300 Prototypen auf den Tisch.
Großer Saal im Hotel Atlantic Kempinksi. Die Küche hat passend zum Kinderspiel des Jahres das Kinderessen des Jahres gekocht: Mini-Burger. Und zum Nachtisch Smarties auf Frijoles. Sieht zumindest so aus. Die Kinder der 2b haben genug gespielt, Autogramme gesammelt und Schokolade vom blauen Plüschpöppel bekommen, nun hocken sie auf dem Fußboden und mümmeln Pommes vom Buffet. Udo Lindenberg ist an diesem Tag nicht da, sitzt nicht in der Bar oder im Innenhof mit dem imposanten Springbrunnen. Aber es gab schon Jahre, da war er zu sehen, sagt Tom Felber, Vorsitzender der großen Jury. Und er hat dann auch Spiele signiert.
Und das war noch zu sehen:
Neueste Kommentare