Flickem
Essen, im Oktober. Im Juni 1945 drangen an jedem Morgen und an jedem Abend blecherne Marschtöne an die Fenster des Butyrka-Gefängnisses; sie kamen von irgendwo in der Nähe, von der Lesnaja oder von der Nowoslobodskaja, lauter Märsche, und die Kapelle begann wieder und wieder von vorn damit. Der Marsch als Sinnbild des Messe-Tages. Gar nicht schlecht, Solschenizyn, alter Kupferstecher. Dieses immer wieder Gleiche des Reinstürmens, des Hinstürmens, des Spiele-Schlingens, um möglichst viel zu schaffen. Es ist der Viervierteltakt der Neuheiten-Junkies. Doch wir blieben gelassen.

Der erste Messetag ist ja auch: gucken, Goodies besorgen, Messe-Odeur aufsaugen. Deswegen alles ohne strengen Plan mit dem einfachen Blick nach freien Tischen. Wie der beim Finnen gleich am Morgen, Perfect Alibi von Kristian Amundsen Østby, dem Escape-Erfinder, diesem wundervollen Würfelinfarkt. Einfach mal ausprobieren, Mord und Totschlag am Morgen ist einfach ein schöner Upper nach zu kurzer Nacht. Jeder von uns Dreien bekommt fünf Alibis der vier Tatverdächtigen auf die Hand. Nur eins wurde vorher herausgenommen, das es zu ermitteln gilt. Das ist: konventionelle Deduktion mit ein paar netten Sonderfunktionen unserer Assistenten, die einige der Regel außer Kraft setzen. Steht mit der Priester zur Seite, muss ich auf die Frage „Wie viele deiner Karten spielen auf dem Sonnendeck und in der Bar?“ nicht laut drei antworten, sondern zeige es nur dem Frager an – Schweigepflicht halt. Und schon sind alle asymmetrisch informiert. Der Psychiater wiederum sorgt dafür, dass ich dem Frager keine meiner Karten zeigen muss, wenn meine Antwort zwei oder mehr war.

Mord an Bord. Tja, schlichte Gedichte und eine ebensolche Mördersuche. Für Cluedo-Fans.

Mord an Bord. Tja, schlichte Gedichte und eine ebensolche Mördersuche. Für Cluedo-Fans.

Ersteindruck: Diejenigen, die Cluedo mögen, werden auch mit dieser Variante ihren Spaß haben. Aber im Grunde ist es nichts weiter als eine Spiel gewordene Aufgabe aus dem PM-Logiktrainer mit ein paar Sonderfunktionen. Wer also für sich gern Wenn-dann-Gleichungen im Hirn durchexerziert, der wird es mögen. Alle anderen gehen einfach weiter.

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Der Staub liegt auf den Straßen und wird von müde dahinschleichenden Windböchen ab und an zum Tanz aufgefordert. Die Sonne brennt gnadenlos hinab, Unruhe liegt auf der Stadt, denn es geht das Gerücht, dass Banditen kommen werden. Der Sheriff und seine Männer sind bereit, den Kampf aufzunehmen. So viel Stimmung liegt in Flick ‘em Up!, als wenn man selbst direkt in die Kulisse der Karl-May-Festspiele Bad Segeberg geht und Teil der Geschichte ist. Nur dass der Plot auf dem Spieltisch mit kleinen Scheiben vorangetrieben wird, der großen, mit der man die Bewegungen der Figuren vorschnippst, und die kleinen, mit denen man Pistolero-Duelle ausschnippst. Es ist schon famos, wie ein vermeintlich simples Geschicklichkeitsspiel auf einmal eine solche Story erzählt.

Und ein wenig Taktik gehört auch dazu, um nicht wie ich als die in die Stadt einreitende Horde dem Sheriff und seiner Truppe zu viel Angriffsfläche zu bieten. Vor allem nicht, wenn man einen so versierten Schnippser wie André als Gegner hat. Und vor allem nicht, wenn man selbst so schnippst, als sei der Schnippsfinger spontan gelähmt. Wie auch immer: Der Sheriff und seine Deputies ballern meine Kindergarten-Bandidos zu Brei – was erst mal egal ist, denn die Gaudi – vor allem in den Großspielen am Stand von Pretzel Games – ist unbeschreibbar groß. Yippee-ki-yay.

Unschlgbar: Sheriff Andrew M. Kess und seine Deputies.

Unschlgbar: Sheriff Andrew M. Kess und seine Deputies.

Ersteindruck: Eine Mordsgaudi, eigentlich ein Titel, an dem jeder seinen Spaß haben wird, weil das Kind in einem unweigerlich hochkommt. Nur der Preis – Grundspiel und Erweiterung kosten zusammen 100 Euro – sorgt dann selbst beim verwegensten Gangster für wackelige Knie. Trotz des tollen Materials. Trotz der vielen mitgelieferten Szenarien.

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Auf einer der Fensterbänke, auf denen in diesem Jahr schon die Neuheiten-Schau stattfinden musste, weil es einfach so viel geworden ist; auf einer dieser Fensterbänke jedenfalls fiel André das Game of Trains ins Auge. Wahrscheinlich weil die Loks so cool golden in der Sonne leuchten und auch der Rest einfach verheißungsvoll aussieht. Und da wir sowieso gerade bei Brain Games vorbeischlendern und sie einen Tisch frei haben, nun, da lassen wir uns doch nicht lange bitten. Der Rest ist simpel: Sechs Waggonkarten müssen wir an unsere Lok ankoppeln, den Wagen mit dem höchsten Wert direkt am Triebwagen, dann absteigend. Unser Ziel: Die Karten ein Mal umzudrehen, sodass die kleinste Karte an der Lok liegt und dann alle weiteren Karten höhere Werte haben. Dafür ziehe ich entweder eine Karte nach, bastel den neuen Waggon in meinen Zug und rangiere den abgekoppelten Wagen in die Mitte, wo er dann allen zur Verfügung steht, oder ich nutzte statt des Waggon-Nachziehens eine Aktion zur Neusortierung.

Auch das A-Team fährt jetzt Güterzug. Vorbildlich.

Auch das A-Team fährt jetzt Güterzug. Vorbildlich.

Ersteindruck: Simpel, nicht banal, eine schöne Tüftelaufgabe. Zudem sehr schön und zitatenreich illustriert. Vielleicht mit zehn Euro etwas teuer, aber das Kennenlernen lohnt sich auf alle Fälle.

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Matthias Nagy ist mittlerweile nicht mehr nur ein umtriebiger Bretterwisser, sondern auch ein Verleger. So bestückt er einen Adventskalender, sodass Spiele-Geeks schon jetzt ein feuchtes Höschen haben. Und er hat tatsächlich im kleinen Eigenverlag ein kleines Spiel herausgebracht. Eins, das uns richtig gut gefallen hat übrigens: Harbour. Im Grunde ist alles reduziert: Es geht darum, die Waren Holz, Fische, Vieh und Stein im Hafen zu löschen, zu verkaufen, den gesamten Erlös sofort in den Erwerb eines Gebäudes zu stecken (Wechselgeld behält der Makler als Provision ein), gewinnen. Und obwohl alles so reduziert ist, macht es richtig Spaß. Zumindest in dieser ersten Partie haben wir keine Schnörkel vermisst. Was vielleicht auch an den reizenden Illustrationen lag. Und an der großen Auswahl der Gebäude. Ein kleines Spiel, das viele Freunde finden wird.

Typen, wie Spieler sie mögen, finden sich in Harbour. Ein Anspieltipp.

Typen, wie Spieler sie mögen, finden sich in Harbour. Ein Anspieltipp.

Ersteindruck: Gelungen. Hingehen und spielen. Oder für den Preis einfach den Blindkauf wagen.

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Tweet von trictrac-Guido, Ravensburger mit Überraschungsneuheit: Legends. Wusste tatsächlich keiner, dass Ravensburger die Druckproben zur Spiel mitbringen wird. Kam wohl auch alles erst Mittwoch und Donnerstag an. Dieser Geheimtipp, zumindest im ursprünglichen Sinne des Wortes, ist gehobenes Familienspiel. Und mal wieder ein Vertreter aus dem Genre des Kartensammelns. Je mehr ich von einer Farbe (von der Spiel-Story steckt dahinter eine Legende wie der um den Yeti), desto besser, weil es viele Punkte in der Wertung bringt. So reisen wir über den Spielplan, sammeln Karten und häufen somit zu den einzelnen Legenden Wissen an, das wir dann ab und an in unserem Reisetagebuch niederschreiben. Jede Aktion kostet Zeit, und wie man es von Jenseits von Theben schon kennt, rückt man dann mit seiner Sanduhr vor. Der, der am weitesten zurückliegt, ist dran.

Das Artwork ist durchaus stimmig und gelungen, die Spielidee hinter Legends dagegen doch etwas altbacken.

Das Artwork ist durchaus stimmig und gelungen, die Spielidee hinter Legends dagegen doch etwas altbacken.

Ersteindruck: Solide Hausmannskost, aber nichts, was des wahren Connaisseurs Herz höher schlagen lässt. Aber für Familien mit Kinder sicherlich eine schöne Beschäftigung. Aber, liebe Ravensburger: Wenn ihr euch damit Zeit bis Nürnberg gelassen hättet, wäre das auch okay gewesen.

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Nach Harbour kommt Haba, zumindest wenn man in Schlangenlinien durch Halle 3 stromert. Wie auch immer. Seit diesem Herbst machen sie bei Haba auch wieder in Familien- und nicht ausschließlich mehr in Kinderspielen. Zum Beispiel Spookies, einem – wer hat eigentlich mal mitgezählt und weiß, wie viele es sind? – Can’tStop-Klon. Dabei geht es darum, die meisten Spuk-Chips einzusammeln, in dem wir unsere unerschrockene Kinderbande ins Geisterhaus schicken. Ihr Ziel ist der Dachboden, wobei jedes Stockwerk nur mit einem höheren Würfelergebnis erreicht werden kann. Je weniger Würfel dafür eingesetzt werden, desto mehr Spuk-Chips werden zur Belohnung ausgeschüttet. Sind alle Chips verteilt, endet die Partie.

Eine hübsche Push-your-luck-Würfelei - aber es gibt doch schon Can't Stop.

Eine hübsche Push-your-luck-Würfelei – aber es gibt doch schon Can’t Stop.

Ersteindruck: Natürlich braucht es diese Variante nicht wirklich, aber sie ist durchaus unterhaltsam. Vor allem wegen des würfelimmanenten Hangs zum Scheitern und Federnlassen, kann es auch einmal lustig werden. Die Frage, die bleibt, ist nur die nach der Motivation für so ein Spiel. Denkt der Autor, er will das Can’tStop-Prinzip einfach mal neu zusammenschrauben. Oder sagt der Verlag, der ein neues Geschäftsfeld erschließen will: Wir brauchen etwas wie Can’t Stop, das funzt bestimmt am Markt. Würde ich ja gern mal wissen.

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Der Stand mit den unbequemsten Sitzmöbeln? Huch & friends. Aber nützt ja nichts, die Melkschemel dort sind frei, außerdem lockt Gum Gum Machine mit seinen tollen Farben. Also schmeißen wir sie an, die Kaugummiproduktion. Wir betätigen einen Schalter und führen dann einfach die Aktionen aus, die der Produktionsweg uns vorgibt. Hauptziel ist es, möglichst viele der sechs verschiedenen Geschmacksrichtungen in einem Gum Gum zu vereinen, einen Deckel drauf zu schrauben und mit dem Gum-Gum-Meter festzustellen, wie viele Punkte es sind. Das alles basiert darauf, dass sich die Spieler merken, wo sie auf der verdeckten Schalttafel welchen Knopf drücken können und was das für die Produktion bedeutet.

Gum Gum Machine, ein Spielgefühl ähnlich dem Geschmack eines Kaugummiautomatenkaugummis.

Gum Gum Machine, ein Spielgefühl ähnlich dem Geschmack eines Kaugummiautomatenkaugummis.

Ersteindruck: Sehr hübsch. Aber es wird doch für uns Geeks schnell öde, so wie eines dieses quietsch bunten Kaugummis aus dem Automaten, die nach 48 Sekunden Kauen schon ihren Geschmack verloren haben. Dann ist es fad.

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Zu kuddelig, sagt André. Wir Küstenköppe verstehen darunter den Wust an Regeldetails, die es zu beachten gilt, um Inhabit the Earth zu spielen und unsere Tierarten auf die Spitzenplätze der Evolution zu katapultieren. Dafür müssen sie vermehrt werden oder sich weiterentwickeln (wobei das Thema an der Stelle etwas hakt, wenn sich aus einem Wasserbüffel eine Giraffe evolutioniert, aber egal …), laufen durch die Gegend oder ziehen den Nachwuchs auf (was im Spiel bedeutet, wir ziehen nichts auf, sondern nach, nämlich Karten). In der Einsteigerversion hat es uns nicht gerockt. Aber ich würde es gern noch mal spielen: mit allen Tieren, allen Kontinenten, allen Regeldetails, auch wenn es derer so viele wie Informationen auf einem DNA-Strang sein mögen. Das einzige, was mich davon abhält, ist wahrscheinlich die unsagbare Hässlichkeit dieses Spiels. Was ist da bloß schief gelaufen? Juliet Breese hatte doch die Key-Serie so unsagbar schön gestaltet. Und nun das.

Das Thema hakt, obwohl es reizvoll ist. Aber leider auch auch unfassbar hässlich.

Das Thema hakt, obwohl es reizvoll ist. Aber leider auch auch unfassbar hässlich.

Ersteindruck: Komplex und auch ein wenig verwirrend wegen vieler Detailregeln, bei denen sich leider auch die Erklärbären nicht sicher waren. Thematisch humpelt diese Evolutionsgeschichte zudem gewaltig. Aber gern noch einmal in Ruhe mit allem Pipapo – auch wenn die Chancen nicht gut stehen, dass Inhabit the Earth noch einen Spitzenplatz im Herzen erobern wird.

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Liguria war dann auf einmal ganz kurz vor der Messe auch da. Hatte niemand auf dem Schirm, weil Queen Games dieses Spiel dann ausnahmsweise mal nicht mittels Schwarmgeld hat finanzieren lassen. Und weil natürlich derzeit niemand mehr so richtig intensiv nach Troisdorf schielt, weil es dort zuletzt doch mit den guten Spielen so gar nicht mehr geklappt hat, nachdem Wolfgang Panning das Queen-Games-Team verlassen hat. Nun also sammeln wir auf den Inseln im Mittelmeer Farbe ein, um sie weiterzuverkaufen. Gut, ehrlich gesagt, das Thema ist jetzt nicht das Dollste. Aber Das-durch-die-Gegend-Schippern mit dem Kahn, der ständige Zwiespalt, wie viele Plättchen ich nehme – greife ich früh zu und nehme wenig oder warte ich ab und nehme viel vom Rest – ist nicht schlecht. Es ist im besten Sinne gefällig. Aber eben nicht durchweg gefallend. Maren gar fand es: gähn. Und wir haben den Verdacht, dass wir es nicht ganz richtig erklärt bekommen haben.

Zumindest mag man Liguria angucken. Und es spielt sich auch gefällig, aber durchweg zu gefallen wusste es wiederum nicht.

Zumindest mag man Liguria angucken. Und es spielt sich auch gefällig, aber durchweg zu gefallen wusste es wiederum nicht.

Ersteindruck: Für uns, die Geeks, zu wenig, auch weil es keine Spannungskurve gibt. Die Plättchen sind immer die gleichen, die Karten auch, nichts wird zum Ende schwieriger, härter oder unvorhersehbarer. Das bräuchte das Spiel, um uns zu begeistern. Allerdings werden wohl Runden so ganz ohne Berufsgrübler und Zugoptimierer ihren Spaß am lebendigen ligurischen Farbhandel haben.

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Am Abend dann noch Berge erklommen. Friedemann Friese hat die Verausgabung mit 504 wohl nicht ganz gereicht. Auf jeden Fall gibt es noch die Gipfelstürmer (und Achtung Altherren, der hier ist für euch: Das passende Getränk dazu ist natürlich ein Schlüpferstürmer). Auf der Fairplay-Scoutliste (die allerdings so etwas von unaussagekräftig wie nur irgendwas nach Tag eins ist) taucht Frieses Kniffel-Klon bereits auf. Und wenn man das Spiel als das nimmt, was es ist, eben ein mit Thema überzogener Verwandter des Kniffels (hey Amigo, mussten die Ziegenfiguren weg?), dann ist er gar nicht verkehrt. Zumindest in voller Besetzung, wenn es ordentlich eng auf dem Plan wird. Familien werden es mögen. Versprochen.

Gipfelstürmer

Ersteindruck: Bitte nur als das nehmen, was es ist. Nicht mehr erwarten, vor allem keine friesesche Finessen und Volten im Spieldesign. Dann begeistert es vielleicht nicht, aber es unterhält durchaus. Und ich habe schon mehrmals jetzt gehört, dass gerade Nicht-so-viel-Spieler gern sofort noch eine (und manchmal noch eine) Revanche gefordert haben.