SpeedCupEssen, 27. Oktober. Langsam wird es hart. Die Nächte: zu kurz. Die Tage: zu lang. Die Luft: zu dick: Die neuen Spiele: zu viele. Die Expeditionsgruppe stößt an ihre Grenzen. Aber aufgeben gilt nicht, aufgeben ist etwas für Spiegeleier-in-Herzform-Brater. Außerdem gibt es noch so viel zu entdecken, erst 20 Neuheiten an den Messetagen gespielt. Und Knut-Michael Wolf listet auf der Spielbox-Seite 869 auf. Das heißt, wir müssen noch einen Schlag härter ranhauen, spielen bis der Arzt kommt, bis wir vor Erschöpfung am Tisch schlaff wie ein geleerter Milchpulversack in uns zusammensacken. Spielen als Straflager-Aufgabe, gefangen im Archipel Gruga. Aber es ist: unschaffbar.

Bestechliches Personal: Die Ingenieure wollen Bares sehen, bevor sie sich in unseren Dienst stellen. Dann aber sind sie treue Vasallen, die nur noch einen Herren kennen.

Bestechliches Personal: Die Ingenieure wollen Bares sehen, bevor sie sich in unseren Dienst stellen. Dann aber sind sie treue Vasallen, die nur noch einen Herren kennen.

Wenn wir aber schon in den Gruga-Gulag müssen, dann wollen wir bitte schön die Bahn nach Sibirien nehmen. Die fährt dieses Mal in Halle 3 am Hans-im-Glück-Stand, die Münchener bringen uns Russian Railroads, was echt viel lässiger als Russische Eisenbahnen klingt. Ein Spiel, das den Autor dieser Zeilen vorab so gar nicht angefixt hat. Boah ey, jetzt springt der Imglück-Hans auch auf diesen Zug mit den ewigen Eisenbahnspielen auf, jetzt machen die Münchener da weiter, wo sie vor gefühlt 122 Jahren mit 1835 angefangen haben. Aber dann tauchte die russ’sche Eisebahn auf einmal auf den Scoutlisten auf und kletterte nach oben, Platz zwei hinter Concordia. Und es war kein 18xx-Clown, der die Gemeinde bespaßen sollte, sondern es ward vielmehr ein Eisenbahnarbeiter-Einsetzspiel, wie kolportiert wurde, was mittlerweile wiederum den einen oder anderen abschrecken mag, aber nicht den Schreiberling. Also doch: Russian Railroads.

Helmut Ohley und Leonard Orgler scheinen die Fahrpläne in Russland zu kennen, deswegen konzentrieren sie sich nicht nur auf die altbekannte Transsibirische Eisenbahn, sondern auch auf die Strecken nach St. Petersburg und Kiev. Zudem geht es im Sinne einer florierenden Wirtschaft und Arbeit für alle auch darum, die Fabriken und damit die Industrialisierung im Lande voranzutreiben. Gute Fabriken bauen nicht nur gute Loks, sondern nutzen auch die Infrastruktur auf der Schiene, um Rohstoffe geliefert zu bekommen und Waren abzutransportieren. So weit, so stimmig. Dabei haben HO und LO allerdings eine fiese Falle aufgestellt: Weil alles gut und verlockend klingt, möchte man auch auf jeder Baustelle schippen und schuften. Nur: Das bedeutet den Untergang. Konzentration auf das Wesentliche der eigenen Strategie ist gefragt.

Es gilt nicht nur, Ortschaften ans Schinennetz anzuschließen, die Passagiere wollen auch komfortabel reisen: Dazu braucht es stets teure Gleise der neuesten Generation.

Es gilt nicht nur, Ortschaften ans Schinenennetz anzuschließen, die Passagiere wollen auch komfortabel reisen: Dazu braucht es stets teure Gleise der neuesten Generation.

Der Spielmechanismus ist dabei nichts aufregend Neues. Wir setzen einen unserer Eisenbahnfronarbeiter ein und führen die Aktion aus, dübeln also Gleise in den Permafrostboden, nehmen Geld, entwickeln die Industrie nach den Vorgaben des aktuellen Fünfjahresplans oder modernisieren den eigenen Fuhrpark. Dabei kann jeder Arbeiter stets durch ein Talerchen ersetzt werden, aber Gevatter Geld ist ein seltener Gast in diesem Spiel, sodass gutes Haushalten angesagt ist. Schließlich benötigen wir Rubel auch, um die Runde für Runde ins Spiel kommenden Ingenieure zu verpflichten. Gehören sie einmal zu unserem Team, können nur noch wir ihr Spezialwissen anzapfen, was gut ist. Was noch besser ist: In der Abschlusswertung bringen die Fachmänner mit Diplom vom Polytechnikum nicht unerheblich Siegpunkte.

Schon wieder ein Eisenbahnspiel. Und schon wieder Arbeiter einsetzen. Klingt ausgelutscht. Ist aber großartig.

Schon wieder ein Eisenbahnspiel. Und schon wieder Arbeiter einsetzen. Klingt ausgelutscht. Ist aber großartig.

Reizvoll wird das Gleisen kreuz und quer durch Russland wegen des permanenten Modernisierungsdrucks, die Fahrgäste wollen komfortabel transportiert werden, was auf Schienen der neuesten Bauart am besten geht, also müssen die Routen nicht nur ausgebaut, sondern ständig überarbeitet werden. Da das richtige Timing zwischen Streckenausbau und -sanierung zu finden, ist das Kunststück. Wer der Meinung war, dass das Einsetzen von Arbeitern seinen Zenit überschritten hat, der wird seine Meinung revidieren müssen, denn ja: So gut ist Russian Railroads. Und deswegen zog es am Sonntagnachmittag auf der Scout-Liste auch noch an Concordia vorbei.

Das lustige Huhn in dem weißen Gefieder wollte unbedingt wieder ein Foto mit uns machen. Und sogar Ausbildungsredakteur Bartsch darf mit aufs Bild. Ist halt sehr großherzig, unser Huhni.

Das lustige Huhn in dem weißen Gefieder wollte unbedingt wieder ein Foto mit uns machen. Und sogar Ausbildungsredakteur Bartsch darf mit aufs Bild. Ist halt sehr großherzig, unser Huhni.

Etwas unruhig war unsere Partie eigentlich nur, weil am Nebentisch offenbar etwas nicht so gut lief. Unser alter Reporter-Freund Huhni schien gnatschig zu sein, weil sein Ausbildungsredakteur Bartsch ihn nur die Hiwi-Arbeiten wie Punktemarkerverschieben machen ließ. Da ist jemand, der bereits die zweite Reporterklasse besucht, natürlich komplett unterfordert und langweilt sich. Dass der Herr Bartsch Huhni mittlerweile schon ganz andere Sachen beibringen sollte, das aber nicht tut, ist natürlich ein Skandal. Wir haben Huhni empfohlen, Mitglied im Verband der Niedersächsischen Jugendhuhnredakteure (vnj) zu werden, um auch rechtlich gegen diese skandalösen Ausbildungsbedingungen vorzugehen. Gerade die Gesellschaftsspielszene hat dringend guten journalistischen Nachwuchs nötig und kann es nicht verkraften, wenn Bartsch sich wie ein eitler Patriarch des Genres aufspielt und die Jugend versucht wegzubeißen, um seine bundesdeutsche Meinungshoheit zu verteidigen. Nicht mit uns, Herr Bartsch! Welch großes Herz Huhni hat, bewies er dann aber beim Foto mit den „lustigen Leuten in den hellblauen T-Shirts“, da ließ er seinen Ausbildungsredakteur trotz eines zuvor ausgebrochenen Streits gern mit posieren. Huhni, das war eine ganz große Geste. Wir waren jedenfalls sehr berührt.

Wie angenehm, wenn einem zwischen all den Spiele-Geeks auch mal normale Orks über den Weg liefen.

Wie angenehm, wenn einem zwischen all den Spiele-Geeks auch mal normale Orks über den Weg liefen.

Zudem galt es jetzt nur noch, 847 Titel abzuklotzen. Wo soll man da anfangen? Am besten dort, wo uns mehrmals zugeflüstert wurde: Geheimtipp. Stand so am Fairplay-Stand auf der Geheimtipp-Liste. Und hat der Gerald erzählt beim Griechen am Abend zuvor. Muss also was dran sein. Es handele sich um ein kleines Stichspiel, erschienen im Eigenverlag, herausgebracht von einem, der in seiner Heimat etwas Gutes tun wollte. Diese Heimat ist Rheinland-Pfalz, der Gutestuer Klaus Geis und das Spiel Ebbes. Das ist eines dieser lustigen Wörter, die nur der Pfälzer kennt und versteht, und das deswegen unheimlich Lokalkolorit ausstrahlt. Geis war dann sehr überrascht von dem Geheimtipp-Status, den sein kleines Stichspiel rasend schnell einnahm. Vor lauter Adrenalin, wie bombastisch es für ihn, Ebbes und Palatia Spiele lief, habe er kaum schlafen können in Essen, berichtete Gerald zwischen Ouzo und Fischrogen-Paste. Unbedingt ausprobieren (das Spiel, nicht die Paste).

Fünf Farben machen es nicht gerade leicht, immer klug zu spielen. Muss man aber. Und nach eine probepartie stand fest: Ebbes geht immer.

Fünf Farben machen es nicht gerade leicht, immer klug zu spielen. Muss man aber. Und nach einer Probepartie stand fest: Ebbes geht immer.

Nun könnte man ja meinen, im Genre des Stichspiels sind alle Geschichten erzählt. Es gibt nichts mehr, was nicht schon auf Karten gedruckt wurde. Falsch. Es gibt immer noch viel Potenzial, wie wir schon begeistert mit Friedemann Frieses Fünf Gurken festgestellt haben. Und auch Ebbes ist sehr gelungen. Wo Friese radikalreduziert auf eine Farbe, setzt Geis gleich derer fünf ein. Zusätzlich wird jede Runde eine Zahl aufgedeckt. Sobald diese Zahl in einer der Farben gespielt wird, fällt ihr eine besondere Aufgabe zu. Ist die Sieben gerade angesagt und als erstes segelt die gelbe Sieben auf den Tisch, steht fest: Ab sofort ist Gelb Trumpf. Die nächste Sieben sagt: Diese Farbe bringt einem am Rundenende Pluspunkte. Dann kommt schon Ebbes, was so leicht windschief übersetzt für etwas steht. Da erhalten die Spieler Punkte, die von der entsprechenden Farbe weder die meisten noch die wenigstens Karten, sondern eben Ebbes haben. Die nächste Farbe bringt Minuspunkt, die letzte nix – außer dass darüber der Herauskommer-Bestimmer für die nächste Runde festgelegt wird. Durch die ständig wechselnden Farben auf den einzelnen Positionen gilt es, ausgesprochen wachsam zu spielen. Ein sehr gelungenes Debüt.

Speed Cups selbst ist nicht so prickelnd, aber dank der optimalen Bechergöße, kann man sich die Amigo-Neuheit noch während der Partie schön saufen.

Speed Cups selbst ist nicht so prickelnd, aber dank der optimalen Bechergöße kann man sich die Amigo-Neuheit noch während der Partie schön saufen.

Langsam wird es Zeit, noch mehr Tempo zu machen. Da bietet es sich natürlich an, etwas zu spielen, bei dem das Tempo schon im Namen steckt: Speed Cups von Haim Shafir. Das ist sozusagen die Spielumsetzung des beliebten Geschicklichkeitssport Stacking, das auf Deutsch etwas sehr unprätentiös Becherstapeln heißt. Jeder hat fünf verschiedenfarbige Becher vor sich, die in der richtigen Reihenfolge neben- oder übereinander platziert werden müssen. Wer meint, richtig zu liegen, bimmelt. Und wer nach Abarbeitung des Talons die meisten Aufgabenkarten gesammelt hat, ist der beste Becherstapler beziehungsweise -ordner. Nun denn, kann man spielen, kann man aber auch sein lassen. Auffällig war nur, dass die Männer am Tisch deutlich mehr Probleme damit hatten, die Becher in der richtigen Folge nebeneinander zu stellen, als sie in die Höhe zu türmen. Seltsam.

"Hihi, guck mal, da laufen welche aus ork-Horde herum." - "Was für Freaks." - "Lass mal schnell ein Foto mit denen machen, sonst glaubt uns nachher keiner, wie die menschen hier herumlaufen."

„Hihi, guck mal, da sind welche als Ork-Horde unterwegs.“ – „Was für Freaks.“ – „Lass mal schnell ein Foto mit denen machen, sonst glaubt uns nachher keiner, in welchen Outfits die Menschen hier herumlaufen.“

Das Tagesziel im Spiele-Steinbruch, möglichst alles weggespielt zu haben, war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr zu erfüllen. Egal, wie sehr wir uns anstrengen würden, unser Pensum als Neuheiten-Sklaven würden wir nicht erreichen können, es war ausweglos, selbst bei einer lebenslänglichen Haft in den Hallen wäre es wahrscheinlich nur schwer zu schaffen. Also fügten wir uns dem Schicksal und suchten einfach nur noch einen freien Tisch. Bei Huch stand einer, darauf befand das neue Werk des Finnen mit dem Namen, den wahrscheinlich niemand schnell fünf Mal hintereinander sagen kann: Touko Tahkokallio.

Inspiriert wurde der Nordländer vom Weißen Berg, dem Mauna Kea, dem höchsten Gipfels Hawaiis. Die Aufgabe: die eigenen Forscher vor dem Brutzel-Tod im Lava-Strom retten. Denn während die Juniorprofessoren der Archäologie-Fakultät gerade auf der Insel unterwegs sind und Schätze horten, stößt der Vulkan schwer auf, ein ernsthaftes Zeichen für eine nicht behandelte Refluxösophagitis. Den Forschern bleibt da nur eine Chance: Schnell noch das Edelgestein zusammenraffen und dann auf ins nächste Boot oder per Helikopter von der Insel fliegen lassen, was allemal besser als das Bad im Flüssiggestein ist.

Eine unbehandelte Refluxösophagitis kann zu brennenden Auswurf führen.

Eine unbehandelte Refluxösophagitis kann zu brennendem Auswurf führen.

Der Doktorvater am Zug muss sich nun überlegen, ob er Plättchen legt, um so einen Dschungelweg zum Strand zu bahnen, oder seinen Schützling so viele Felder voranstraucheln lässt, wie das beiseite gelegte Plättchen Füße zeigt. Ab und an gräbt jemand aus dem Nachziehstapel ein Lavaplättchen, was sofort angelegt wird und den frühen Forschertod bedeutet oder doch zumindest die Fluchtwege arg einschränkt. Sehr überzeugend ist der Lavastrom-Mechanismus, der die Stimmung auf der Insel fix zum Kochen bringt. Der Rest fühlt sich eher so lala an, nicht Fisch, nicht Fleisch, eines der unzähligen netten Spiele im Neuheitenmassiv, das es in Essen zu besteigen galt. Dementsprechend aber nichts, was später einmal Bestand haben wird neben all den guten bis sehr guten wenn nicht gar grandiosen neuen Titeln. 2013 scheint einmal mehr ein wirklich guter Jahrgang zu sein.

Wer diesen Zaubertrank überdosiert, wird schon bald körperliche Veränderungen spüren. Die Forschung spricht dabei vom Astra-Leib.

Wer diesen Zaubertrank überdosiert, wird schon bald körperliche Veränderungen spüren. Die Forschung spricht vom Astra-Leib.

Im Angesicht unseres Versagens, möglichst 75 Prozent plus x aller Neuheiten zu spielen, gestanden wir uns die Niederlage ein, gönnten uns in der Messe-Pinte noch ein Pils Hamburger Brauart (bei Schluckauf wurde schon abgebaut, außerdem war der Mümmelmann alle) – und wir sagten Prost Essen, Salut Internationale Spieltage, bis nächstes Jahr. Eure Pöppelhelden.

Prost Essen. Wir kommen nächstes jahr bestimmt wieder. Fotos: Stille Helder (2)/Simone Becker (Rest)

Prost Essen. Wir kommen nächstes Jahr bestimmt wieder. Fotos: Stille Helfer (2)/Simone Becker (Rest)