Das 20. JahrhundertEins, zwei, drei: Musik! Und, Oskar, bitte!: „Ich mag Müll / alles, was staubig ist, schmutzig und dreckig, / alles, was rostig ist, gammelig und speckig, / ja ich mag Müll.“ Ach, lass doch mal lieber gut sein, Oskar.
Denn: Keiner mag Müll. Vor allem nicht, wenn er in der Landschaft rumliegt. Und stinkt. Und – jetzt wird es leider wirklich ekelig – ständig Minuspunkt am Spielende ausrotzt. Der Müll muss weg.
Das ist eine zentrale Erkenntnis aus Das 20. Jahrhundert. Der geneigte Lenker einer aufstrebenden Region baut also unifarbene Plattenbausiedlungen und lässt seine Arbeiter dort, ganz in der Nähe der Recycling-Anlage, einziehen, um dem Müllproblem Herr zu werden. Das ist wichtig. Aber dann lugt der Regionenlenker etwas verstohlen über seinen Tellerrand und sieht: Es gibt ja auch Arbeitsplätze in der Export-Industrie und im Finanzwesen, gute Geister, die das Regionenlenker-Konto füllen. Und es gibt Künstlerkolonien voller Tunichtgute, Panflötenspielern und IT-Menschen, die im Grunde nicht produktiv sind, aber irgendwie eine dufte Stimmung verbreiten. Was wiederum bei Straßenumfragen dafür sorgt, dass die Demoskopen tolle Wohlfühl- (oder in diesem Spiel: Wohlstands-)Werte messen.

Spielsituation Das 20. Jahrhundert

Spielsituation Das 20. Jahrhundert

In einigen Städten arbeiten auch noch Wissenschaftler, die wissen, wie man Müll und Stinke-Abgase loswerden kann. Wer viele Forscher beschäftigt, kann sich tolle Sauber-Technologien leisten, die manchmal sogar niedliche Gänseblümchen zeigen. Und wer auf der Gänseblümchen-Leiste ganz weit vorne liegt, bekommt ganz viele duftige Punkte am Schluss. Wir lernen: Gänseblümchen sind toll. Nicht so toll sind dagegen Totenköpfe. Die bekommt, wem die Luftqualität wumpe ist, wer nicht den Feinstaub reduziert und sogar den Einbau von Rußpartikelfiltern in die Dieselflotte verhindert. Und der wird – vollkommen zu Recht – am Ende bestraft. Hart bestraft. Steinigt ihn, die Umwelt-Sau.

Vladimir Suchý hat sich das mit dem 20. Jahrhundert ausgedacht. Ziemlich fein hat er das gemacht. Angefangen mit dem Carcassonne-esken Legespielteil mit Versteigerung, der zweiten Sechsstädtebund-inspirierten Bietphase um die Umweltschäden, den immer variablen Zwischenwertungen. Kein Fliegengewicht, auch nichts aus der Superschwergewichtsklasse, mehr so ein Kandidat fürs Weltergewicht. Das Ganze kam schon 2010 in Essen auf den Markt, wurde aber größtenteils mit Missachtung gestraft, weil es ein Spiel ohne Drafting und ohne Menzel-Mittelalter-Grafik ist. Jetzt wird es oft verramscht. Wer eins sieht und Weltergewichts-Kämpfe mag, sollte zuschlagen. Es ist alles andere als Müll.


GrimoriaSzenenwechsel. Von der Müllannahmestelle hin in ein finsteres Kellerverlies, spätes Frühmittelalter. Erstmal: Atmo, bitte!
In den milchig verfärbten Glaskolben blubbern grüne Gifte über bläulich züngelnden Flammen, in den Massiveichenholzschränken lagern die Einweckgläser mit Krötenbein und Rattenschwanz, Fliegenschiss und Hummelwutz. Ein verschrobener Magier blättert in seinem Zauberbüchlein und überlegt, wie er die Konkurrenz im Kampf um den Posten des magischen Zunftmeisters abhängen kann. Er hat einen Spruch gefunden, legt sein Lesezeichen auf die Seite, schließt den Folianten, dessen Einband ein Wölkchen des seit Jahrhunderten im Leder wohnenden Muffes ausatmet, ein Duft, wie man ihn sonst nur aus Wohnungen sehr alter Großeltern kennt.
Dieses spärlich beleuchtete Alchemistenbüro liegt im Ländchen Grimoria. Wo? Gri-mo-ri-a! Und die Zeiten sind hart. Oder wie es im Almanach der Sprüche heißt, sozusagen der Gebrauchsanleitung für den Hokuspokus: „Schatten ziehen herauf in Grimoria. Im Schein des Kerzenlichtes blättert der alte, weise Magier in seinem zerlesenen Zauberbuch. Besorgt schüttelt er seinen Kopf.“ Schlecht drauf ist der Oldtimer deswegen, weil er sieht, welchen Murks seine potenziellen Nachfolger machen. Die Dagmar zum Beispiel, verhindert einfach jegliche Schwarze Magie, als der Horschti und der Thorschti beide einen Geld-Generieren-Zauber gesprochen haben. Das geht doch nicht, das macht man doch nicht, Schiri, siehst Du denn gar nichts?
Alles übrigens viel lustiger, wenn man selbst der Verhinderer ist, der mit Schutz- und Schmutzzaubern die anderen ausbremst. Das ist hübsch, macht Spaß. Auch das mit der Spielerreihenfolge ist schlau ausgedacht. Die Karten sind schön gestaltet, die kleinen Zauberbüchlein sind sogar richtig grandios; großes Kino für einen überschaubaren Preis. Und das ganze Spiel ist einfach zu lernen und zu spielen, ohne dabei superbanal zu sein, im besten Sinne familientauglich, in den schönsten Momenten sogar ein bisschen bezaubernd. Schmidt schielt auf den Roten Pöppel damit, Hoffnungen machen sie sich wohl nicht ganz zu Unrecht. Wer Bantamgewichte mag, sollte zugreifen (um mal den Bogen nach oben zu schlagen).
Exkurs: Da sich die Pöppelhelden selbst als gutbürgerlichen Spiel- und Bildungsklub definieren, kommt noch ein kleiner Ausflug in die Abteilung: „Ich bin kein Klugscheißer, ich weiß es wirklich besser.“ Deswegen sei angemerkt, dass Grimoria grob ins Deutsche übersetzt ungefähr „Land der Zauberkladden“ heißt. Denn der Name leitet sich vom früher in deutschen Landen durchaus gebräuchlichen, frankophonen Begriff Grimoire ab. Oder wie Akademiker sagen: Zauberbuch. Ein Buch vollgestopft mit magischem Wissen, Astrologie-Wissen, Engel-Wissen, Zaubersprüchen, Anleitungen zu Beschwörungen von Dämonen, Zaubertrankrezepten, Kreuzworträtseln und Sudokus.

Was es sonst noch gab? Viele Spiele, zum Beispiel Africana, Battlestar Galactica, Drecksau, Hawaii, Piraten Kapern, Speicherstadt mit Kaispeicher, Super Farmer und Waka Waka.
Und viel Besuch. Insgesamt waren diesmal 25 Spielerinnen und Spieler anwesend. Danke Christoph aus Bösel, wir würden uns freuen, Dich bald mal wieder zu sehen. Danke an Micha aus Berlin – aus Berlin! –, der beim Urlaub im Nordwesten wieder Zeit fand reinzuschauen. Besuch uns gern immer, wenn Du in der Nähe bist. Und Dank natürlich an die Friesen, die wieder mal die Postkutsche aus der Scheune geholt haben und die beschwerliche Reise auf sich genommen haben.
Ach ja. Und wir haben ein paar Spiele versteigert, um die neue Klubausstattung mit Logo und Banner und so weiter ein wenig rezufinanzieren. Lief super. Danke an alle Mitbieter!

Das nächste Mal sehen wir uns dann am Freitag, 20. April, 20 Uhr. Wie immer in der Matthäus-Kirche in Hundsmühlen.