69. Spieleabend der Pöppelhelden - Tod auf der Gleis-GuillotineHundsmühlen, im September. Der kleine Glückwunsch blieb fast unbemerkt. Trotzdem: Es war natürlich Ehrensache für die Pöppelhelden am offenen Spieleabend, den Preisträgern und den Platzierten des Deutschen Spielepreises zu huldigen und ihnen mit einer kleinen Geste zu gratulieren. In voller Pracht aufgereiht präsentierten sie sich von Platz eins – Terra Mystica – bis zu Platz 10 – Augustus –, abgeschlossen durch Kakerlakak, dem Gewinner des Ehrentitels Deutscher Kinderspielpreis. Aus dem Oldenburgischen damit einen riesigen Glückwunsch an die TerraMystica-Autoren Jens Drögemüller und Helge Ostertag sowie an das gesamte Team des neuen Verlags Feuerland Spiele. Und noch ein Sonderglückwunsch an den Autoren-Riesen Stefan Feld, dem ebenfalls Einmaliges gelang: sein zweiter Hattrick. Nach 2011 darf er sich erneut gleich über drei Titel freuen, die in der Spielergunst ganz oben stehen: Brügge (3.), Bora Bora (4.) und Rialto (9.). Im Fokus der 24 Spieler in der Matthäus-Kirche standen dann aber doch einige neue Titel.

KarnickelKARNICKEL
Einen besonderen Reiz auf alle Spielernaturen übt Oryctolagus cuniculus (nein, nicht Cunnilingus!) aus. Vielleicht liegt es daran, dass die possierlichen Tierchen caecotroph leben, was nichts anderes bedeutet, als dass sie sich zwecks der besseren Verdauung der ansonsten nur schwer aufzuspaltenden pflanzlichen Nahrung gern mal den Pups direkt wieder vom After nagen – da mag der eine oder andere neidisch werden ob der dafür nötigen Verrenkungskünste. Den Reiz, den das Wildkaninchen auf den Homo ludens ausübt, mag das allein aber noch nicht erklären. Vielmehr sind wahrscheinlich die unheimlich niedlichen Illustrationen von Klemens Franz der Grund, weshalb sich ganze Heerscharen von Pöppelhelden auf Karnickel von Brett S. Piel J. Gilbert stürzten, eine der Herbstneuheiten von Lookout Games, die uns Doris und Hanno Girke liebenswerter Weise als Prototypen-Selbstbaukasten zur Verfügung gestellt haben. Dafür ein dickes Danke an die beiden in die Wesermarsch. Und Maren und André haben sich die Mühe gemacht, alles geradezu perfekt zusammenzubauen, sodass es schon wie ein fertiges Spiel aussah. Dafür auch ein großes Sonderlob an die beiden.

Den Jägern unter den Lesern legen sich natürlich bei der Erwähnung der süßen Spezies sofort Sorgenfalten auf die Stirn, denn die Wildkaninchen-Population in Mitteleuropa, sie schrumpft. Schuld ist die Chinaseuche, vermuten Experten, denn das Virus arbeitet meistens ziemlich gründlich, wenn der kleine Hasenartige es erstmal vom Geäst des leckeren Wildkräutergewächses gelutscht hat. Ist das Virus ausgebrochen, „tritt ein akuter bis perakuter Verlauf ein, der im Allgemeinen innerhalb von zwölf bis 48 Stunden zum Tod führt. Typisch für den klinischen Verlauf sind neben den petechialen Blutungen zentralnervöse Symptome, die sich vor allem in Krämpfen äußern. Im Endstadium ist ein Überstrecken des Kopfes zum Rücken recht typisch“, fasst die Wikipedia den Krankheitsverlauf pointiert und kindgerecht zusammen. Aber wer kennt ihn nicht, diesen Anblick der Kaninchen-Agonie, die moderne Geißel eines jeden Auenspaziergangs. Nur, wem sage ich das, den Lesern der Pöppelheldenpage biete ich damit selbstredend keine Neuigkeit. Deswegen: Entschuldigung für diese Wiederholung des Allgemeinbekannten. Aber die Lookout-Neuheit eröffnet einen neuen Diskurs in der lebhaft geführten Debatte um die Kaninchen-Sterblichkeit: Demnach trägt eine Art Names Loco motivus, auch der schwarze Spurenräuber genannt, nicht unerheblich dazu bei, die felligen Kot-Knabberer zu killen.

Schuld sind die kleinen Löffel-Lausbuben dabei aber doch ein bisschen selbst. Offenbar schmecken die Möhrchen, die zwischen den beiden Gleissträngen gedeihen, so gut, dass unsere Karnickel am liebsten im Gleisbett hoppeln, Karotten mümmeln und anschließend – zur besseren Nährstoffaufspaltung – komisch vornübergebeugt dasitzen. Und das ist der Moment, in dem der unbarmherzige Eisenpredator zupackt. Dargestellt wird dieses mitten aus dem Leben gegriffene Szenario durch sieben Würfel, auf einigen Seiten befinden sich je zwei Spielerfarben, auf den anderen ein Symbol für den rauchenden Räuber. Das Kaninchen am Zug würfelt: Alle Würfel, die stark abstrahierte Dampfrösser zeigen, wandern in den Innenraum des Schienenrunds und sind vorerst aus dem Spiel. Aus den Farbwürfeln darf sich der Löffelträger dagegen eine Farbe aussuchen und das dazugehörige Kaninchen ziehen, pro Würfel mit der entsprechenden Farbe ein Feld. Dabei ist es egal, wem das Tierchen gehört. Dann wird weiter gewürfelt, und zwar so lange, bis alle Würfel auf einer Eisenbahnseite liegen. Das ist der Moment, in dem sich das Raubtier auf Rädern in Bewegung setzt, um unbarmherzig seine Beute zu schlagen. Wer gerade dran ist, muss nun noch mal alle in der Mitte liegenden Würfel rollen, die Anzahl der Lok-Symbole werden zusammengezählt – und die zu nah vor dem Zug chillenden Chinchilla-Verwandten machen zur Freude der Mitspieler ihren Frieden mit dem Schöpfer. Ja, Tod und Verderben sind doch noch immer ein Garant für heitre Stunden am Spieletisch, wie in Hundsmühlen auch deutlich zu hören war. Oder wie André perfekt auf den Punkt brachte: „Schadenfreude kommt halt von Herzen. Tschuuuu-Tschuuuuuuuuuu!“

Spielsituation Karnickel

Spielsituation Karnickel

Gelingt es dem Würfler, dass die Lok alle Häschen packt, gewinnt er mit diesem Sonderzug in den Tartaros eine Wurzel. Ansonsten sammeln die überlebenden Möhren-Mampfer so viel vom orangen Gemüse, wie auf ihrem Feld gerade wächst, im besten Falle drei, im schlechtesten Falle aber steht das Karnickel auf dem Tunnel des Verderbens und muss sogar die heimische Speisekammer plündern und eine Ration des für den Winter angelegten Vorrats wieder abgeben. Das ist noch ärgerlicher als der schnelle Tod auf der Gleis-Guillotine, schließlich ist der reichste Rammler, also der, der als Erster acht Möhrchen gesammelt hat, am Ende der Sieger. Das alles ist ein reines Zockerspiel, bei dem die Würfel einem gewogen sein müssen. Wenn sie es nicht sind, ist das auch nicht schlimm, dann wird schnell eine Revanche gespielt. Das Gefeixe ist natürlich immer dann am Größten, wenn die Lok direkt vor dem Drei-Möhren-Feld schnaufend zum Stehen kommt und das glückliche Kaninchen den dicken Reibach macht. Aber auch, wenn einem der Kaninchen-Overkill per perfektem Beutezug in rasanter Fahrt über alle Karnickel gelingt, pocht das kleine Spielerherzchen etwas aufgeregter. Karnickel eignet sich hervorragend als Aperitif oder Digestif an einem Spieleabend – und wem das zu wenig Spirit hat, der kann mittels einfachster Hausregeln auch ein prima Trinkspiel daraus machen.

GuildhallGUILDHALL. ZÜNFTE & INTRIGEN
Nicht ganz so frisch wie Karnickel ist Guildhall, mittlerweile ja auf einigen Seiten innerhalb der Glaubensgemeinschaft schon besprochen. Und mit ganz gemischten Fazits. Vorab sei deswegen schon mal angemerkt: Guildhall bewegt sich im Spielbox-Wertungsuniversum aus meiner Sicht zwischen einer soliden Sechs und einer schwächelnden Sieben, was laut Spielbox-Redaktionsmitglied und Spielbrett-Macho Jochen Corts zwar kein gutes Spiel mehr ist, laut Spielbox-Eigenangaben aber irgendwie doch (vergleiche dazu per hermeneutischer Analyse die Seiten 61 und 62 der noch aktuellen Ausgabe 4/2013). Gut, sollen die im Magazin darüber diskutieren, was welche Note bedeutet.

Bei Guildhall sind wir Vermieter. In unserer Zweckimmobilie, Zunfthaus genannt, sind sechs Büroetagen frei, in die wir entsprechend viele, verschiedene Zünfte einziehen lassen wollen. Dafür ist uns so ziemlich jedes Mittel recht, selbst Meuchler schicken wir los, wobei es in der Fachwissenschaft durchaus umstritten ist, ob es für diesen einst so ehrbaren Lehrberuf ein Zunftwesen gab. Auch bei den Berufsständen der Tänzerinnen, der Bauern und der Historiker dürfte ein solcher Organisationsgrad angezweifelt werden. Das war Autor Hope S. Hwang aber offenbar genauso schnuppe wie denen beim amerikanischen Originalverlag AEG (nein, nicht die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft) oder beim deutschen Distributor Pegasus. Und darum geht es doch auch gar nicht. Es geht ja darum, möglichst fünf verschiedenfarbige Vertreter eines Gewerks zu beherbergen, weil ein Quintett Siegpunkte aufs Konto spült. Wer derer 20 erreicht hat, beendet das Spiel sofort und ist ein verdammt guter Büroraumvermieter.

Stecke ich in der Mieterakquirierungsphase, stehen mir zwei Aktionen aus drei Aktionsmöglichkeiten zur Auswahl: Ich spiele eine Karte oder auch zwei, aber keine Rolle doppelt und keine Karte, die so schon im Zunfthaus liegt (hat sich ein blauer Bauer dort bereits eingenistet, ist der auf der Hand erstmal unausspielbar); ich fülle meine Kartenhand wieder auf sechs auf oder ich tausche eine astreine verschiedenfarbige Fünfergilde gegen eine Prestigekarte, die mir Siegpunkte und ab und an noch andere Vorteile wie Zusatzaktionen oder Tauschmöglichkeiten bietet.

Spielsituation Guildhall

Spielsituation Guildhall

Den Reiz bezieht Guildhall nicht nur aus dem schnöden Kartensammeln, sondern aus der Interaktion, insbesondere aus den Rollen des Händlers und des Meuchlers. Der Kaufmann lässt aus uns den Gutmenschen sprechen: Wir nehmen einem der lieben Mitspieler ein bis zwei Karten eventuell gar eine ganze Zunft ab und geben ihm dafür etwas, was ihm noch fehlt. Ja, so selbstlos können wir spielen. Und wir lernen fürs Leben, dass es bei einem Handel nie um die Zufriedenheit des Kunden (oder besser: Opfers?) geht, sondern alleinig um die Anhäufung des begehrten Guts beim Händler selbst. Der Meuchler übrigens ist auch nicht per se ein schlechter Typ, denn er entfernt die Kollegen in gegnerischen Vermietobjekten, die die Etagen über Gebühr füllen, Sauerstoff verbrauchen und so auch Schuld an schlechter Luft sind. Diesen karitativen Hintergedanken verstehen unsere Mitspieler leider sehr häufig falsch. Da heißt es, noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten und am Image zu feilen.

Guildhall Tänzerin

Der Kopp der Tänzerin scheint etwas klein geraten, vielleicht eine optische Zerrung. Dafür sind andere Details wunderschön gelungen.

Eine perfekte Einheit bildet der Meuchler übrigens mit dem Historiker, der die Frischgemeuchelten vom Friedhof namens Ablagestapel zurück ins eigene Zunfthaus holen kann. Wobei: Wissenschaftsgeschichtlich betrachtet scheint an dieser Stelle doch eher die falsche Fachrichtung gewählt worden zu sein, so ist die Historiografie traditionell eigentlich weniger für das Zurückholen der Toten bekannt – außer vielleicht aus der Vergessenheit. Aber auch an dieser Stelle: Schwamm drüber. Gern gesehen ist die Tänzerin, weil sie frische Karten bringt (was sonst eine der beiden kostbaren Aktionen kostet) und eine zusätzliche Aktion eröffnet. Allerdings ist dem Grafiker Mike Perry bei den Damen ein kleiner Fehler passiert, denn irgendwie wirkt ihr Kopf unproportional klein. Ist aber vielleicht auch nur eine perspektivische Zerrung. Oder so. Aber auch das: verzeihbar. Zumal der restliche Detailreichtum seiner Darstellung diesen kleinen Fauxpas wieder wettmacht.

Nicht zu unterschätzen sind dagegen die Rollen des Bauern (Kleinschwein auf dem Arm macht nämlich auch Mist in Form von Kleckerbetragssiegpunkten) und die der Weberin, die in Kombination mit anderen klug gewählten Karten den zu vermietenden Büroraum schnell füllt. Wenn die Regeln und das Spielprinzip sitzen, dann spielt sich Guildhall recht flott, wobei mehr Mitspieler auch mehr Unübersichtlichkeit ergo höhere Wartezeiten bedeuten. Es ist nämlich wichtig, die Zunfthäuser der anderen Miethaie im Auge zu behalten, und um das schnell zu können, bedarf es einer kleinen Routine. Sonst dreht man einem Mitbewerber eine Karten an, die der schon hat, was nicht erlaubt ist und einfach zeit kostet. Zudem sollte jeder am Tisch mit dem ständigen Nehmen (von Geben kann da weniger die Rede sein) leben können. Guildhall ist kein Spiel, um neue Freunde fürs Leben zu finden. Guildhall will hart gespielt werden, aber das ist auch nötig, um flott zum Erfolg zu kommen. Und dann fühlt sich dieses kleine Kartenspiel ausgesprochen gut an, halt in diesem ominösen Schon-gut-irgendwo-zwischen-sechs-und-sieben-Bereich der Spielbox-Skala.

Tzolk´inTZOLK’IN. DER MAYA-KALENDER
Tzolk’in, der Silbermedaillen-Gewinner des Deutschen Spielepreises, hat es dann übrigens wie auch Die Legenden von Andor als eines der Top-Ten-Spiele auf den Tisch geschafft, was nicht unwesentlich damit zusammenhing, dass Michael diese besonderen Spielfiguren und Rohstoffe aus „Hobold’s Grotte“ mitgebracht hat. Das steigerte den Aufforderungscharakter, am Zahnrad der Zeit ein wenig zu schrauben, doch noch einmal spürbar. Hergestellt werden die kleinen Putzigmänner und -frauen sowie die liebevoll gestalteten Steine, Holzstämme und Goldklumpen von Hobold aus Fimo, bitte nicht mit der ICD-10-Klassifikation N47 verwechseln. Denn die einzige spürbare Auswirkung der kleinen Knet-Meeple für Tzolk’in, Escape, Stone Age oder Agricola ist, sie unbedingt haben zu wollen, was immerhin eine Finanz-Fimose nach sich ziehen könnte, also eine spürbare Verengung des eigenen Kontokorrentrahmens, wenn man denn einen Großeinkauf in Polen tätigt.

SpielsituationTzolk´in - Der Maya-Kalender

Irgendetwas hat der kleine Racker, rechts im Bild, wohl ausgefressen, wie sein verschmitztes Grinsen zeigt. Die Tzolk’in-Maid links und der Hohe Startspielerpriester scheinen auf jeden Fall not amused.

Ganz abgesehen von den Spielfiguren macht die Nummer zwei dieses Jahrgangs aber auch einfach so Spaß, wobei an dieser Stelle neben dem Uraltipp „Mais ist geil!“ noch der ultimative Spoiler für Neulinge gegeben wird: Wer am Ende um den Sieg mitstreiten will, der muss gut Freund mit Chaac, Kukulcan und Quetzalcoatl sein. Womit wir wieder bei der historischen Genauigkeit wären, was auch schon die einzige Schwäche an diesem Spiel ist: Denn die beiden Letzteren sind ja quasi die gleiche Pappnase, also der ziemlich wichtige gefiederte Schlangengott (dessen Pyramide in Chichen Itza übrigens wirklich spek-ta-ku-warte, gleich kommt es-lär ist), der eine halt bei den Maya (Kukulcan), der andere bei den Atzteken (Quetzalcoatl). Egal, wollen wir mal nicht zu oberlehrerhaft sein und nur einen kleinen Spritzer Klugscheißerei zur Würze dieses Elaborats beisteuern.

SpielsituationTzolk´in - Der Maya-Kalender

SpielsituationTzolk´in – Der Maya-Kalender

Gespielt wurden diesmal: 7 Wonders, Boomerang, Bumm Bumm Ballon, Die Legenden von Andor, Goblins Inc., Guildhall, Karnickel, La Boca, Mascarade, Palastgeflüster, Spyrium, Tzolk´in – Der Maya-Kalender, Vegas, Wanzen tanzen, Welcome to Walnut Grove, Würfelwurst

Weitere Impressionen von diesem Spieleabend:

Bumm Bumm Ballon

Bumm Bumm Ballon

Würfelwurst

Würfelwurst – Oha! Wird das eine Wieselwurst?

Vegas

Vegas

Spyrium

Spyrium

Die Legenden von Andor

Die Legenden von Andor

7 Wonders

7 Wonders