2fBremen, im Oktober. Treffpunkt: Am Schwarzen Meer. Das klingt jetzt vielleicht etwas exotischer, als es ist. Denn Friedemann Friese empfängt zum Gespräch nicht sonnenbebrillt und Wodka schlürfend in einem Straßencafé in Sewastopol. Treffen ist in Frieses Spielwerkstatt im Herzen Bremens. Wobei das Viertel in der Hansestadt ja immer noch zu den reizvollsten aller Stadtteile gehört, und Friedemann Friese muss da mit seinem Verlag 2F-Spiele auch sitzen. Friese in Schwachhausen oder Oberneuland? Das passt nicht. Gut, rein sprachlich würde Findorff funktionieren, Vahr und Vegesack gingen phonetisch auch, aber so rein kulturell passt nur das Viertel (auch wenn es offiziell laut Stadttopografie gar kein eigener Stadtteil ist, aber ein eigener Kiez – und das gilt auch).
2F-Spiele ist eigentlich nur ein Computerarbeitsplatz im Atelier Krake, in dem eine entspannende Aura des kreativen Chaos‘ ruht. Vor der alten Jukebox lehnt ein Fahrrad aus Omas Zeiten, ein wunderschönes Gefährt, das von Maura Kalusky gerade wieder auf Vordermann gebracht wird. Frieses alter Stammgrafiker und Pöppelhelden-Logo-Macher residiert an einem der anderen Schreibtische im Büro. Ein fast leer getrunkene Kiste Bier steht auf dem Boden, am großen Fenster mit Blick aufs Am Schwarzen Meer stehen ein Nierentisch und zwei urgemütliche Sessel, alles very fifties. Auf dem Tisch ist locker Platz für die fünf offiziell gelisteten 2F-Neuheiten, sie sind eher klein.

Friedemann Friese beim Vor-Essen-Plausch noch in hellgrün. Aber zur Messe wird nachgegrünt. Der Mann ist ist schließlich ein Markenartikel, da muss die CI eingehalten werden.

Friedemann Friese beim Vor-Essen-Plausch noch in hellgrün. Aber zur Messe wird nachgegrünt. Der Mann ist ist schließlich ein Markenartikel, da muss die CI eingehalten werden.

„Nächstes Jahr wird ein großes Jahr“, verspricht er, beim Gespräch noch lässig blondgrün, irgendwie passend zu den neuen Spielen, aber das Haupthaar wird vor Essen noch nachgegrünt. 2013 ist mit Blick auf die Ludografie eher ein kleines Spaßjahr. „Ich bin weg von den komplexen Spielen“, sagt er, „weg von diesen arbeitsintensiven Rohstoffe-sammeln-und-dann-umwandeln-Spiele.“ Das, was kommt, klingt aber alles vielversprechend.

GurkenCoverFÜNF GURKEN
Friese in Finnland. Vor zwei Jahren war das. „Ich war auf der Ropecon“, erzählt er. Eine Rollenspieler-Convention. Was sicherlich unterhaltsam ist, denn die Finnen sind ein unfassbar sympathischer wie angenehm verrückter Schlag Menschen. Und zumindest zwei Dinge hat er nachhaltig gelernt. Zum Beispiel, dass in Finnland Wodka und Sauna zusammengehören wie in Deutschland Grünkohl und Saurer Apfel an jeder Straßenecke. Dass der Finne vor dem Saunieren und nach dem Schwitzen gern einen hebt, war zu erwarten. „Aber sie trinken auch Wodka in der Sauna“, sagt Friese und lacht. Ein fantastisch angenehmes Ritual. Das zweite nachhaltige Ereignis war, dass er eine Kartenspielsammlung kaufte, die bis zum Frühling dieses Jahres ziemlich unbeachtet in seinem Schrank lag.

Fünf Gurken merkt man die finnischen Wurzeln an: Man kann es hervorragend vor und nach der Sauna spielen. Sogar in der Sauna. Und Wodka mundet nochmal so gut dabei.

Fünf Gurken merkt man die finnischen Wurzeln an: Man kann es hervorragend vor und nach der Sauna spielen. Sogar in der Sauna. Und Wodka mundet nochmal so gut dabei.

Im Mai war es dann, kurz bevor es nach Mallorca ging. Er nahm diese Spielesammlung in die Hand und stöberte die Regel durch, ob darin etwas Ungewöhnliches zu finden war. Bei einem Spiel blieb er hängen: Kurkku, Gurke. Gurke? Das klang schon geil. Eine Kurzrecherche auf Boardgamegeek offenbarte, dass es sich dabei um ein Traditional handelt, ein Volksspiel, alt, schon immer da, keiner weiß, wer es erfunden hat. Man spielt es halt überall im Nordischen, so wie in Deutschland Skat oder Doppelkopf. „Ich hatte schon immer vor, ein Traditional neu zu beleben, wenn ich eine coole Idee finde“, sagt Friese. „Ich habe das dann mal hochgerockt.“ Zumal er das Thema Gurke einfach großartig fand – auch wenn es nicht den strengen Regeln des Namens-Gebungs-Gesetzes von 2F-Spiele genügte. „Aber mit Fenchel lässt sich das nicht so gut spielen.“

Beim Gathering of Friends auf Mallorca schließlich wurde gerockt, Fünf Gurken war einer der Dauerbrenner in der Finca. „Zumal man einfach hervorragende Wortwitze mit Gurke machen kann, weil es sexuell konnotiert ist. Das war sehr lustig“, erzählt Friese. Auch wenn zu befürchten ist, dass ihm die Gurkenwitze nach Essen zu den Ohren rauskommen werden. Aber da muss er nun durch. Wer noch Inspiration sucht: Der Duden listet als Synonyme Glied, Handy, Nase, Penis, Riecher, Schwanz. Dank dieses modularen Baukastensystems ist dem Altherrenwitz in der Spielrunde Tür und Tor geöffnet (ach, Günter Willumeit hätte es gefallen).

Das Prinzip von Fünf Gurken ist simpel, es ist ein Stichspiel, wie so viele Volkskartenspiele. 60 Karten, vier Sätze mit den Werten eins bis 15, jeder Spieler bekommt sieben Karten auf die Hand. Das wirklich Skurrile: Es gibt nur eine Farbe. Grün natürlich. Wer dran ist, hat zwei Möglichkeiten: Bedienen – entweder gleich hoch oder höher ausspielen – oder die niedrigste Karte abwerfen. Die würde man nur gern behalten: Denn es verliert, wer den letzten Stich gewinnt. „Das Schöne ist, dass sich das Blatt von beiden Seiten auffrisst“, sagt Friese. Man will seine hohen Karten rechtzeitig loswerden, muss aber ständig die kleinsten wegschmeißen. „Außerdem gefällt mir, dass man sein Blatt mit einem Plan spielt und nicht Karte für Karte entscheidet, was man macht.“

Weltneuheit: Die ersten Gurken-Meeples der Welt. Wie heißt der korrekte Fachbergiff eigentlich? Cucumeeples?

Weltneuheit: Die ersten Gurken-Meeples der Welt. Wie heißt der korrekte Fachbergiff eigentlich? Cucumeeples?

Fünf Gurken, Traditional, gerockt von Friedemann Friese, 2F-Spiele 2013, für eine Gurkentruppe von 2 bis 6 ab 8 Jahren, Grafik: Harald Lieske, Preis: rund 7 Euro

FutterneidCoverFUTTERNEID
Der Stein des Anstoßes für Futterneid rollte schon einige Freitage früher den Berg herunter. Sozusagen. Es ging um Die Siedler von Catan, speziell ums Handeln. Friese hörte, wie es jemand beschrieb: „Es kann schon sein, dass man einfach noch ein Duplo drauflegt, sagte der“, erzählt Friese. Ein Lehm für ein Schaf und ein Duplo? Muss man erstmal drauf kommen. Und natürlich würden die Geeks gar nicht im Traum die Idee haben, so zu handeln, wahrscheinlich würden sie den EuSRH, den Europäischen Spielregel-Hof anrufen, um juristisch wasserdicht zu beweisen, dass Duplo-Deals irregulär sind.

„Aber ich dachte: Warum nicht? Das müsste man mal umsetzen.“ Und jetzt, zum Abschluss des vor fünf Jahren begonnenen Freitag-Projekts, kommt also Futterneid. Am Messedonnerstag um 12 Uhr – der Stunde, zu der am anderen Ende der Welt gerade der Freitag beginnt – gibt es die Game-Release-Party am 2F-Stand. „Ich habe ungefähr 50.000 Kalorien eingekauft. Und um die geht es dann. Denn mit Futterneid spielen wir endlich um die Süßigkeiten, die auf dem Tisch liegen.“ Von wegen, mit dem Essen spielt man nicht.

In der allergrößten Not, aber wirklich nur dann, kann Futterneid natürlich auch mit dem Original-Spielmaterial gespielt werden. Aber wo bleibt denn da der Genuss?

In der allergrößten Not, aber wirklich nur dann, kann Futterneid natürlich auch mit dem Original-Spielmaterial gespielt werden. Aber wo bleibt denn da der Genuss?

In kleinen Schälchen, dergestalt, wie sie alte Männer mit grauen Bärten in bayrischen Wirtshäusern beim Schafkopfen benötigen, um darin ihr Kleingeld aufzubewahren, sind die Süßigkeiten appetitlich angerichtet. Jedem Leckerli wird dann noch ein Wert zugeordnet, den die Spieler mit eigenen Bietplättchen manipulieren. Anschließend werden reihum Süßigkeit genommen (aber noch nicht gegessen), und am Ende wird geguckt, wer die wertvollsten Kohlenhydrate gesammelt hat. Schnell, einfach, lecker – schließlich wird alles aufgemampft. Weil Friese jetzt ja auch Familienpapi ist, hat er in die Beschreibung sogar noch einen pädagogisch wertvollen Satz eingebaut: „Und wer will, kann auch um Gemüse und Obst spielen.“ Ganz bestimmt, so werden wir es machen.

Futterneid von Friedemann Friese, 2F-Spiele 2013, für 2 bis 5 Naschkatzen ab 8 Jahren, Grafik: Harald Lieske, Preis: rund 18 Euro

FUNKENSCHLAG. AUSTRALIEN & INDISCHER SUBKONTINENT
Kein Jahr ohne neue Landkarten. „The never ending story“, sagt Friese, der mittlerweile auch als anerkannter Energieexperte gilt, schließlich hat er eine stattliche Anzahl an Fachbüchern gesammelt, um akkurat neue Stromnetze aufbauen zu lassen. So auch dieses Mal.

Schwierig war vor allem die Namensfindung. Mit Indien passte es nicht so, weil sich das Land gen Osten sehr weit schlängelt und kaum auf den Plan gepasst hätte. Zudem ist es politisch einfach nur so mittel pie-cee, wenn Indien und Pakistan mit Atomkraftwerken rumexperimentieren. Deswegen also Indischer Subkontinent, ein fachlich nicht ganz sauberer Kompromiss. Aber immerhin: ein Kompromiss.

Professor Friese erzählt: „Indien hat einfach einen spannenden Strommarkt. Und ein sehr instabiles Stromnetz. Ich habe gelesen, dass beim letzten Stromausfall 400 Millionen Menschen keinen Strom mehr hatten. Vierhundertmillionen!“ Die Instabilität ist berücksichtigt im Spiel: Wächst der Strommarkt zu schnell, bricht das Netz zusammen – und der Spieler mit dem größten Netz trägt die meisten Kosten zur Wieder-in-Gang-Setzung. „Was auch sehr schön ist: In Indien wird mit Viehdung geheizt.“ Auch das ist eingepreist. Die Kraftwerke sind deswegen nicht so leistungsstark. Schön findet Friese den Kniff, dass Rohstoffe nur einzeln gekauft werden können. „Das verändert das Spiel.“

Auf der Rückseite liegt Australien, Down Under. „Da rief die Produktionsfirma an, dass uns ein Fehler passiert ist, die Städtenamen stehen auf dem Kopf“, erzählt Friese. Er lacht. „Ja, die stehen natürlich auf dem Kopf. Das ist ja auch Down Under.“ Das Reizvolle am fünften Kontinent ist, dass Australien viel zu groß für die paar Menschen ist, die dort leben. Entsprechend gibt es weite Flächen ganz ohne Netz, einfach Leere. Die Städte wiederum werden durch drei separate Netze versorgt, die unabhängig voneinander funktionieren. Da die Australier viel schlauer als die Europäer sind, verzichten sie komplett auf Atomkraftwerke. „Aber das land ist einer der größten Uran-Exporteure der Welt. Also wird Uran verkauft. Typisch australisch ist auch die CO2-Steuer – „die gibt es wirklich“ –, die die Preise ab der zweiten Spielhälfte in die Höhe treibt.

Funkenschlag. Australien & Indischer Subkontinent (9. Erweiterung) von Friedemann Friese, 2F-Spiele 2013, für 2 bis 6 Smart-Grid-Düsentriebs ab 12 Jahren, Grafik: Maura Kalusky, Preis: rund 8 Euro

WuchererCoverFRIESES WUCHERER
1992 war es. Friese studierte noch. Betonung auf: noch. Damals brachte er Wucherer heraus (das Namens-Gebungs-Gesetz (NamGeG) war noch nicht verabschiedet), was ihm laut Homepage-Biografie völlig aus der Bahn warf, weil er fortan nur noch Spiele im Kopf hatte und sein Studium litt. Aber, das wissen wir heute, es war der Beginn einer wundervollen Karriere in einem völlig durchgedrehten Business. In diesem Jahr, zum großen 21. Geburtstag, kommt Wucherer wieder, allerdings als Frieses Wucherer, von wegen NamGeG.

1992 produzierte er ein paar Karten und nahm Chips, für 20 Mark wurde es verkauft. Alles noch fürchterlich independent. Aber das änderte sich schnell, denn Abacus wollte Wucherer unbedingt haben. Auch wenn es dafür in das Standardkartenschachtelformat gezwängt werden musste, frei nach dem Motto: Was nicht passt, wird passend gemacht. Da das Geld nicht mehr mit reinzustopfen war, gab es zum Beispiel eine Kopiervorlage für die Geldscheine. Kopiervorlage, damit man selbst Geld drucken konnte, sozusagen. Das müsste sich heute noch mal einer trauen. „Abacus hat seit Längerem überlegt, es neu aufzulegen“, erzählt Friese. Aber irgendwie konnten sie sich dann doch nicht durchringen, deswegen macht er es halt selbst. Zumal es seit Filou, Freitag oder Fundstücke auch die optimale Schachtelgröße im 2F-Kartonsortiment gibt.

„Jetzt kann ich es auch so machen, wie ich es gern hätte“, sagt er. 2F hat deswegen seine eigenen Münzen prägen lassen, die es Zukunft öfter geben soll. „Das ist mein erstes Kunststoffteil in einem Spiel.“ Und Maura Kalusky durfte nach einer längeren Pause auch mal wieder etwas für Friedemann malen (also mal ab von den Funkenschlag-Erweiterungsplänen). Und trotzdem wird das Spiel in Essen fertig sein (nichts für ungut Lars, dafür haste in Essen natürlich ein Bier gut!).

Frieses Wucherer von Friedemann Friese, 2F-Spiele 2013, für 2 bis 6 Miethaie ab 12 Jahren, Grafik: Maura Kalusky, Preis: rund 15 Euro

FALTER
Wer nun daran denkt, dass wir mit Netzen bewaffnet über reifbedeckte Wiesen hüpfen und versuchen, Schmetterlinge zu fangen, der irrt. Falter hat nichts mit Lepidoptera zu tun, sondern mit der Tätigkeit des Faltens. Und ganz eigentlich handelt es sich auch nicht um ein Spiel, sondern eher um kleine kniffelige Rätsel, schöne Soloaufgaben zum Dranfestbeißen, Verzweifeln und Süchtigwerden.

Acht Falter gibt es, von leicht bis sehr schwer. Alter, Falter, die sind wirklich hammerhart.

Acht Falter gibt es, von leicht bis sehr schwer. Alter, Falter, die sind wirklich hammerhart.

„Im Januar wurde unsere Tochter geboren. Und da hatte ich sie nachts oft auf dem Arm“, erinnert sich Friese. Es war eigentlich wie beim ersten Kind und den durchwachten Nächten. Damals entwickelte sich das Solospiel Freitag, nun also schlüpften die Falter aus dem Kreativ-Kokon. „Körperlich bist Du gebunden, aber geistig wach und du willst denken. Da ich mich gerade sowieso mit Labyrinthen beschäftigt hatte, fing ich an, die Dinger am Rechner zu gestalten.“ Acht solcher Rätsel hat er sich ausgedacht. Liebe zum Beispiel, bei dem es vom verliebten Käfer über die Pflanzen erst zu den Blumen und dann zur Käferherzensdame geht. Der Witz besteht in der Pfalz auf dem postkartengroßen wie -dicken – nun ja – Spielbrett. Nur durchs Falten eröffnen sich neue Wege, die den Spieler auf die Vorder- und die Rückseite bringen, bislang unentdeckte Verbindungen ans Tageslicht fördern und so zum Ziel führen. Aber: Das ist selbst bei den leichten Aufgaben schon recht anspruchsvoll.

Und so geht es: einfach hin- und herfalten, neue Wege entdecken, Rätsel gelöst.

Und so geht es: einfach hin- und herfalten, neue Wege entdecken, Rätsel gelöst. Fotos: 2F-Spiele/Andreas

Freitag und Falter sind übrigens ein wunderbarer Beleg, wie sich Veränderungen im Leben auf den Schaffensprozess auswirken. „Der Große ist jetzt drei Jahre alt geworden. Ich denke, dass Friese dann bald auch Kinderspiele macht.“

Falter (8 Sets) von Friedemann Friese, 2F-Spiele 2013, für einen Im-Labyrinth-Verlaufenen ab 10 Jahren, Grafik: Harald Lieske, Preis: pro Falter rund 2 Euro

Ein weiteres Makin of mit den neuen Spielen von Michael Kiesling findet ihr hier.
Auch die Ontogenese der neuen Titel von Lookout Spiele haben wir beleuchtet.
Ein paar Hintergründe zu Der Hobbit und zu Polterfass stehen hier.