70. Spieleabend der Pöppelhelden – Zwangvoller Schiffs- und GartenbauHundsmühlen, im Oktober. „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“ Was für ein großer erster Satz. Von Franz Kafka. So beginnt seine Erzählung „Die Verwandlung“. Oder der: „Auch Glenn Gould, unser Freund und der wichtigste Klaviervirtuose des Jahrhunderts, ist nur einundfünfzig geworden, dachte ich beim Eintreten in das Gasthaus.“ Noch so ein Hammererstersatz. Von Thomas Bernhard, aus „Der Untergeher“. Das zeigt, wie wichtig der erste Satz für einen Text ist. Und bevor an dieser Stelle nun nur Mittelmaß gestanden hätte, wird doch lieber literaturwissenschaftliche Erquickungshilfe geleistet, damit die elitäre Leserschar der Pöppelpage zumindest beim Eintauchen in den Text noch ein Wohlgefühl verspürt, bevor es mit den ernsten Betrachtungen zum 70. offenen Spieleabend mit 20 Pöppelhelden an Bord und im Garten weitergeht.

SanssouciSANSSOUCI
„Wer legt den prächtigsten Garten an?“ Der erste Satz der Regel von Sanssouci, geschrieben und lektoriert von Ravensburger, nun, er erreicht nicht ganz die Klasse eines Kafka oder Bernhard. Aber andererseits stellt er die Frage aller Fragen für dieses neue Solo-Werk von Michael Kiesling, der nach seinem Wikinger (2007 bei Hans im Glück) endlich mal wieder alleine loszieht. Und der beweist, dass er den großen Wolfgang Kramer an seiner Seite eigentlich gar nicht benötigt.

Ganz eigentlich geht es in Sanssouci aber doch eher um die Frage, wer den optimiertesten Garten anlegt. Was der Natur der Sache geschuldet ist: Für gestalterische wie optische Brillanz lassen sich wegen ihrer eher schlechten Quantifizierbarkeit nur schwerlich Siegpunkte verteilen. Wohl aber für gefüllte Reihen, Spalten und gewanderte Adlige. Dass der Blaublüter an sich oft einen keinen Hau weg hat – aufgrund mangelender genetischer Durchmischung mit anderen Sippen und ständiger inhäusiger Auftragsvergabe in Sachen Nachkommenkreißung – ist ja bekannt, und in Sanssouci gewissermaßen apart ins Spielgeschehen eingebunden. Die wunderlichen Schlossherren wünschen sich nämlich einen äußerst streng angelegten Garten. In die Spalte mit den beeindruckenden Pavillons dürfen nur weitere beeindruckende Pavillons gelegt werden, analog verhält es sich mit den imposanten Statuen, den duftenden Kräuterbeeten, den farbenfrohen Rosenbögen, den lasziven Labyrinthen, den weinenden Weinstöcken und was es nicht noch so alles an Zierrat gibt. Alles muss in Reih und Glied gelegt werden, ordentlich preußisch eben.

Aber damit nicht genug der strengen Reglementierung: Kiesling hat sich zudem einen Kniff ausgedacht, der exakt festlegt, wohin welches Teilchen gelegt werden darf. Alle Reihen sind nämlich farblich markiert, sodass durch die Art des Plättchens und die zugeordnete Farbe den Kollegen aus dem Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau die Koordinaten exakt vorgegeben werden, sie also sehr genau wissen, an welcher Stelle sie die triste Rasenfläche umzupflügen haben. Liegt in der zehn Plättchen umfassenden Auslage ein blubbernder Brunnen auf einem grauen Feld, muss das wohlgestaltete Wasserspiel auch genau an diesem Platz (Treffpunkt Brunnenspalte und graue Reihe) aufgestellt werden.

Spielsituation Sanssouci

Der Spleen des Hochadels: Erstens darf nur motivrein in jeder Spalte gebaut werden, zweitens wollen die Adligen ihren Spaziergang jedes Mal auch nur in ihrer Spalte beenden – Umwege nehmen sie dafür aber in Kauf.

Damit dieser Auswahlprozess nicht ermüdend einfach wird, hat Kiesling die Handkarten eingeführt. Die Spieler besitzen identische Sets aus 18 Karten, immer zwei davon hält man am Zug in Händen. Die Karten zeigen entweder eins der neun Motive oder eine Kombination aus zwei der fünf Farben. Wer eine Farbkarte spielt, muss sich eines der vier Plättchen aussuchen, die auf den entsprechend kolorierten Regalplätzen im Gartengroßmarkt liegen. Wer das Motiv spielt, muss auch ein dazu passendes Plättchen nehmen – es sei denn, man spielt zum Beispiel die teure Treppe aus, wenn im Schaufenster gerade keine ausliegt. Dann funktioniert die Karte wie ein Joker, der Grünplaner nimmt also, was ihm gefällt – aber: Gelegt werden muss das Plättchen koordinatentreu.

Überraschend häufig kommt es vor, dass der entsprechende Platz bereits belegt ist. Dann darf das Motivplättchen auf die Rückseite gedreht werden, auf der ein schuftender Gärtnergesell zu sehen ist. Dieser Fronarbeiter darf nun in der zugehörigen Spalte oder Reihe verschoben und beliebig abgelegt werden. Was durchaus Vorteile mit sich bringt. Denn alle Plättchen zeigen Wege, auf denen Ihro Exzellenzen zu promenieren pflegen, und zwar möchte möglichst in jeder der 18 Runden einer bewegt werden. Ziel ist es, ihnen Wege bis ganz an den hinteren Gartenzaun zu pflastern, auf dass sie dort stehen und entsprechend der erreichten Reihe bis zu sechs Siegpunkte bringen. Wichtig ist dabei aber, dass die Adligen stets nur voranschreiten, zurück gehen sie nie – ein lustiges, karnickelartiges Hin- und Herhoppeln zwischen einem Fünf- und einem Sechssiegpunkteplättchen geht also nicht, sonst wäre es ja wieder so ermüdend einfach. Wichtig ist den Adligen auch, dass sie am Ende ihres Spaziergangs wieder genau in der Spalte stehen, in der sie auch zu Spielbeginn gestartet sind (da haben wir ihn wieder, diesen Spleen der Hochwohlgeborenen). Da mit 18 Karten aber nie und nimmer genügend Plättchen gelegt werden können, um das gesamte Gartenareal vollzupflanzen, gilt es, geschickte Wegeverbindungen zu entwerfen.

Spielsituation Sanssouci 2

Klug ausgedacht ist as Koordinatensystem-Prinzip: Jedes Teilchen aus der Auslage kann nur auf ein Feld im eigenen Park gelegt werden – das sorgt für flotte Züge.

Michael Kiesling hat in Sanssouci all diese Vorgaben elegant miteinander verwoben. Denn natürlich liegt das Plättchen, das gerade besonders dringend benötigt wird, nicht auf den Farben, die die Handkarte zeigt. Oder die Kräuterspirale bleibt im Talon versteckt, bis einem das Objekt der Begierde gerade noch rechtzeitig vor der Nase weggeschnappt wird. Neben dem klugen Wegenetz, das möglichst vielen Adligen ein kontinuierliches Voranschreien ermöglichen sollte, ist es auch vernünftig, ganze Spalten (recht gut möglich) und auch Reihen (schon schwieriger) zu füllen. Obwohl sich Sanssouci an Familien wendet, lohnt sich auch für Geeks der Blick auf die Ravensburger-Neuheit, weil es einfach ein gutes, unterhaltsames Spiel ist.

NauticusNAUTICUS
„Die Spieler schlüpfen in die Rolle von Unternehmern, die sich in den Bereichen Schiffsbau, Handel und Transport engagieren.“ Auch bei Kosmos spielt der wuchtige erste Satz als Regeleröffnung offensichtlich keine Hauptrolle, das hätten Kafka oder Bernhard wohl geringfügig anders formuliert. Einerseits. Andererseits verseht ja jeder, was gemeint ist. Wir bauen Schiffe, wir kaufen Waren ein, verschiffen und löschen sie wieder. Navigieren, optimieren, reüssieren. Oder so ähnlich. Ausgedacht haben sich das Wolfgang Kramer und Michael Kiesling. Jupp, schon wieder Kiesling. Und jupp, so viel vorab, schon wieder ein lohnenswertes Spiel.

Der zentrale Mechanismus ist ein Rad, und wer jetzt stöhnt und denkt, dass hatte Kiesling doch schon in Wikinger und dass hatten Kiesling und Kramer doch schon vergangenes Jahr in Die Paläste von Carrara, dem sei gesagt: Dieses Rad ist anders. Außer dass es auch rund ist. In diesem Rad liegen die acht Aktionen tortenstückig aus. Der Startspieler sucht eine davon aus, erhält je nach Lage einen Bonus wie zum Beispiel zusätzliche eigene Arbeiter, mehr Geld oder Schiffsteile, führt dann die Aktion aus oder passt, anschließend dürfen alle anderen im Uhrzeigersinn ebenfalls mitmachen oder passen. So weit, so Puerto Rico. Was aber gut ist, weil so alle immer ins Spielgeschehen eingebunden sind. Mit dem Rad (das übrigens auch als Leiste funktioniert hätte, so aber sehr zierlich für den sowieso von Alexander Jung äußerst gelungen gestalteten Spielplan ist) wird auch die Varianz ins Spiel gebracht. Jede Runde werden die Aktionsplättchen zufällig neu ausgelegt, jede Runde gibt es zu einer der Aktionen zum Beispiel keinen Bonus, jede Runde kosten die einzukaufenden Teile im Koggen-Fachhandel unterschiedlich viel, mal ist der Mast mit Seeschlangen-Symbol also für ein Geld, mal für drei, in der nächsten Runde vielleicht umsonst zu haben.

Spielmaterial NauticusSpielmaterial Nauticus

Die Einstiegshürde für Nauticus ist nicht zu verachten, denn es müssen sehr viele, ich betone: sehr viele Pappteile ausgepöppelt werden. Aber der Aufwand lohnt sich. Versprochen.

Weil es darum geht, Schiffe zu bauen, müssen zuerst die entsprechenden Fertigbauteile erstanden werden: Rümpfe, Masten und Segel. In der eigenen Werft werden die Boote dann zusammengeschraubt: Auf den Rumpf löten wir die Masten, an die wiederum tackern wir Segel. Sehr fortschrittlich ist, dass bereits vor dem Stapellauf die Rumpfteile mit Waren beladen werden dürfen, das spart Züge und ist somit äußerst effizient. Alles, was gerade nicht verbaut werden kann oder als Geschenk für umme erhalten wurde – Achtung: das ist die Goldene Regel –, muss im Lager verstaut werden, um dann erst zeit- und arbeitskraftraubend mit der Aktion Transport in die Werft gekarrt zu werden. Das ist alles sehr sinnig, klingt aber doch vielleicht ein wenig zu simpel.

Das dachten sich auch die Herren Kiesling und Kramer und zogen die Daumenschrauben etwas an. Bei jedem Einkauf müssen die Teile ja bezahlt werden, also machten sie das Geld knapp, auf das vor allem der Einzelteilehandel mit den Discountpreisen floriert, die teure Markenware dagegen verschmäht wird. Damit nun nicht alle die günstigsten Stücke horten, wird kurzerhand kein Skonto auf Masseneinkäufe gewährt. Wer also ein Segel mit dem unheimlich gut gelaunten Wal drauf mehrmals einsacken will, muss ab dem zweiten Stück bedruckten Stoff vier Münzen je wetterfestem Spannbettlaken hinblättern. Deutlich reizvoller scheint da der breit gefächerte Einkauf, bei dem es gilt, alle vier zur Auswahl stehenden, unterschiedlich designten Masten, Segel oder Rumpfteile zu erstehen. Für sechs Geld gibt es also gleich vier unterschiedliche Einzelteile plus eines geschenkt als Großeinkäuferprämie beim Erwerb der Skipper-Card.

Damit nun allerdings das Shopping im Gemischtsegelbootbedarfladen nicht zu sexy wird, führte der KKKK, der Kapitäns-Klub Kiesling/Kramer, strenge Vorschriften für den Bootsausbau ein. Die Segel und Masten eines jeden Schiffes müssen das identische Wappen zeigen. Was bei einem Einerboot, dem Smart in der Handelsflotte, noch recht simpel ist, wächst sich beim Bau eines stolzen Viermasters zu einer echten Herausforderung aus. Denn, wir erinnern uns: Wer mehr als ein Mal das gleiche Teilchen kaufen möchte, der muss teuer bezahlen. Damit es nicht zu arg wird, wurden noch Joker eingeführt. Mit Kronen-Masten und -Segel können die sonst reinwappigen Wasserfahrzeuge ebenfalls bestückt werden. Da es aber zu billig wäre, Kronen im Laden zu erhalten, gibt es sie nur als Geschenk, und zwar wenn ein Schiff fertig gebaut wurde. Pro Mast wird sogar ein Präsent verteilt, Kronen sind da durchaus reizvoll, nur: Geschenke, weil kostenlos, kommen erstmal ins Lager. Und außerdem gibt es noch andere schöne Belohnungen wie neue Arbeiter oder frisches Geld – und das möchte man auch ganz unbedingt, voll doll, bittebitte, Mutti, bitte haben.

Und weil das alles in den Augen der Herren Kiesling und Kramer immer noch deutlich zu läppisch erschien, dachten sie über das Thema Arbeitskraft nach. Das Resultat: Jede einzelne Aktion muss von einem Arbeiter ausgeführt werden. Wer also vier Masten kauft, benötigt auch vier Arbeiter. Wer sechs Geld aus dem Bankhaus abheben möchte, der muss drei Arbeiter hinschicken, weil es pro Nase nur zwei Münzen gibt. Wer zwei Waren von einem Segler löschen möchte, muss auch zwei Arbeiter losjagen. Ein paar virtuelle Hilfskräfte stehen allen Spielern pro Zug zur Verfügung (noch so eine variable Stellschraube im Rad), aber für umfangreichere Maßnahmen reichen sie oft nicht aus, also muss man auch noch Söldner aus dem eigenen Proletarier-Heer einsetzen. Und, genau, man ahnt es schon: Die sind mal wieder knapp.

Zudem gibt es einen wohlüberlegten Clou, der dazu führt, dass auch ab und an mal Passen eine wertvolle Option ist. Wer passt, kann ein Passenplättchen umdrehen, auf dessen Rückseite beispielsweise statt der drei Minuspunkte zum Rundenende eine weitere Krone zu sehen ist, die wiederum wertvolle Pluspunkte bei der Kronenwertung bringt. Und irgendwie sind Pluspunkte deutlich cooler als ihre buckligen Verwandten mit dem Negativvorzeichen.

Spielsituation Nauticus

In der eigenen Werft werden die Schiffe nach den strengen DIN-Vorgaben zur einheitlichen Gestaltung und der penibel zu beachtenden Reinwappigkeit gebaut. Zudem bringt zeitiges Passen mehr Kronen, die dann in der Kronenwertung für viel gute Laune sorgen können.

Hach, es ist eine feine, eng verwobene Maschinerie, die da möglichst reibungslos am Laufen gehalten werden will. Natürlich macht es den Reiz aus, dass einem sehr oft etwas fehlt, sodass man eine Aktion eben nicht in gewünschtem und gebrauchtem Umfang ausführen kann. Aber ohne diese Verknappung der Mittel könnte ja jeder bei Nauticus problemlos gewinnen, was langweilig wäre. Es gilt also, klug mit seinem Geld und den raren Arbeitskräften zu haushalten.

Wichtig scheint aber auf jeden Fall zu sein, ein Viererschiff zu bauen, mindestens aber zwei Dreier. Das bringt nicht nur reichlich schöne Belohnungen im Spiel, sondern am Ende auch fette Siegpunkte. Auch die Kronenwertung, die einem bis zu 15 Siegpunkte (mit Einsatz des Sonderzug-nach-Pankow-Plättchens einmalig sogar 30 Siegpunkte) in einer Runde bescheren kann, sollte kein Seebär aus den Augen verlieren. Und wer dann noch nebenbei einige Waren verschifft hat, kann mit den dergestalt erhaschten Siegpunkten vielleicht den entscheidenden Vorsprung für sich herausholen.

Nauticus Schiffe

Zu viele kleine Schiffe sehen zwar hübsch aus, um den Sieg segelt aber nur mit, wer stolze Drei- und Viermaster baut.

Kiesling und Kramer präsentieren sich bei Nauticus auf der Höhe ihrer Optimier-Kunst, und es überrascht ein wenig, so ein Spiel, das vor allem auf erfahrene Schifffahrts-Experten zugeschnitten ist, im Katalog des Stuttgarter Kosmos-Verlags zu entdecken. Andererseits machen sie das ja immer mal wieder, wie zum Beispiel mit Helvetica. Wer Nauticus vor Essen nicht mehr kennenglernt hat, dem sei auch die zweite der drei Neuerscheinungen dieser Herbstkollektion, an der Michael Kiesling mitgewirkt hat, unbedingt für eine Probepartie ans Herz gelegt. Denn sowohl Sanssouci als auch Nauticus gehören beide in die Kategorie: Anspieltipp.

Außerdem wurden diesmal die folgenden Spiele gespielt: Boomerang, Filou, Jäger der Nacht, Kalimambo, Karnickel, Keyflower, Love Letter, Mascarade, Oregon, Palastgeflüster und Würfelwurst

Weitere Impressionen von diesem Spieleabend:

Oregon

Oregon


Keyflower

Keyflower

Mascarade

Mascarade

Hintergründe zu Sanssouci und Nauticus findet ihr im Making of.